Heute ein Bischof

Manche sagen, der Nikolaus kommt am 6. Dezember. Stimmt. Aber wenn er drei Tage später nach Rixdorf kommt, hat er etwas Besonderes im Gepäck.

Ich bin kein Schauspieler vor dem Herrn, wirklich nicht. Charakterdarsteller im Film und auf der Bühne bewundere ich sehr, aber ihre Gabe ist nicht meine.
Eigentlich schlechte Voraussetzungen, in die Maske eines Mannes zu schlüpfen, der vor gut 1.600 Jahren in Lykien (heute Türkei) gewirkt haben soll. Und über dessen heutige Zerrbilder man sich gerne mal lustig macht. „Ej, wo is‘ deine Bommelmütze?“ – Das gehörte bei meinem Rixdorfer St. Nikolaus-Einsatz zu den Standards, in unterschiedlichen Formulierungen.

Es gab auch lustigere Bemerkungen. Etwa die hier:

„Wer is‘ dit?“
„Petrus.“

Ansonsten wurde ich öfter für einen Renaissance-Papst gehalten und nach Ablassbriefen gefragt. Ich hatte Schriftrollen bei mir – auf denen die Nikolaus-Geschichte stand.
Viele Kinder wussten mehr über den Bischof von Myra als ihre Eltern. Natürlich kannten sie vor allem die Legenden, von der Mitgiftspende bis zum Kornladungs-Wunder.
Ich muss gestehen, dass ich mich mit Legenden schwer tue. Sie drücken für meinen Geschmack zu oft eine Verehrung aus, die manchmal sehr zweifelhafte Interessen stützen soll. Als Märchen für Kinder sind sie ok. Aber als St. Nikolaus auf einem Berliner Weihnachtsmarkt wollte ich etwas anderes sein als ein Fabelwesen.

Also ein Bischof? – Ich bin leider keiner. Da hilft weder Mitra noch Hirtenstab, beide sind noch nicht einmal echt. Für die Kinder, die mein Anlächeln erwiderten, war ich bestimmt kein Geistlicher. (Die meisten hätten wahrscheinlich nicht gewusst, was ein „Geistlicher“ ist.) Aber es waren viele Augenpaare, die meiner Charme-Offensive nicht widerstanden. Auch Zyklopen nahmen Blickkontakt auf: Smartphone-Kameras. 😉 Ich bin wahrscheinlich noch nie so oft in zwei Stunden fotografiert worden.

Die Smartphone-Nutzer waren allesamt Erwachsene. Und die hatten höchst unterschiedliche Beweggründe, sich oder andere mit mir, dem Nikolaus, ablichten zu lassen. Gäste aus Hongkong, zwei meiner PC-Kurs-Teilnehmer, kleine Gruppen cooler junger Frauen, Studierende und Menschen mit drei Chromosomen da, wo die meisten nur zwei haben. Zu Menschen mit Trisomie 21 habe ich von je her einen sehr guten Draht und betrachte das als Gnadengabe, als Charisma, um es in der Sprache des lykischen Bischofs Νικόλαος Μυριώτης auszudrücken.

Ich kenne Menschen, deren Scharfsinn ich bewundere wie die erwähnte Schauspielkunst von Bühnen- und Filmdarstellern. Dieselben Menschen versagen total, wenn sie einem „Behinderten“ begegnen. Und das ist nicht immer böser Wille. Sie vergeigen es einfach, weil sie ihr Gegenüber nicht ernst nehmen können. Das spüren Menschen mit Trisomie 21 nach meiner Erfahrung sehr genau. Sie sind nämlich nicht blöd, sie denken und sprechen nur anders.
Für viele, die mir im Kostüm des Bischofs von Myra begegneten, erschien ich wahrscheinlich „behindert“: Irgendwie mit Handicap, ein bisschen verrückt, anders. Aus vielen Augen konnte ich das lesen.

Ich hege aber die Hoffnung, dass so mancher kritischer Blick im Nachhinein mehr zeigt als einen mäßigen Heiligen-Darsteller mit einer heillos veralteten Weltanschauung.
In der Vorbereitung des Nikolaus-Einsatzes habe ich überlegt, ob ich wohl in eine Situation käme, in der ich segnen könnte. Die Situation kam nicht. Aber Charismen werden weder geplant noch erworben. Sie sind Geschenke. Vielleicht werden einige, die dem Nikolaus in Rixdorf begegneten, am Weihnachtsfest diese Geschenke in sich entdecken. Es werden keine Schokoladen-Nikoläuse sein. 🙂

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