Kunstgewalten

„Will ich haben. Das versteht kaum einer, aber daran bin ich ja gewöhnt…“ – Mit diesen Worten kommentierte ich kürzlich eine T-Shirt-Werbung auf Facebook. Eine Aufklärung für Musikliebhaber ohne Streicher-Background.

Ein Textildruck-Anbieter warb für ein T-Shirt mit folgender hier ins Deutsche übersetzter Aufschrift:

Nenn mich noch einmal Violine. Ich warne dich…

Eine liebe Bekannte, die der schnieken Trägerin besagten T-Shirts nicht unähnlich ist, meinte, dass sie die Anspielung leider nicht verstehe. Kein Wunder. Du musst ein Bratscher sein in dieser (Kunst-) Welt. Oink.

Ich bin Bratscher, wenn auch im einstweiligen Ruhestand. Ich gehöre zur Gruppe der echten, der langsamen, sich jeder Virtuosität standhaft verweigernden Bratscher. Wir sind die Koalas im Orchester. Nur nicht so niedlich.

Bratschenwitz gefällig? Es gibt unzählige, hier ist mein liebster in einer sonntäglichen Fassung:

Die neutestamentlichen Arbeiter im Weinberg waren Musiker und sollten außer Trauben auch Weinbergschnecken sammeln. Einer aus der letzten Gruppe war Erster Geiger und hatte neben zig Kiepen drei Säcke voll Schnecken gesammelt. Ein anderer spielte in Herodes‘ Hoforchester am 2. Pult der Zweiten Geigen und konnte immerhin einen prall gefüllten Sack mit Weichtieren vorweisen.
Als der Gutsbesitzer schon abschloss, kam noch der Bratscher angeschlurft, der unter denen war, die ab dem frühen Morgen gearbeitet hatten. Der Schneckensack war leer. „Es tut mir wirklich leid,“ sagte er atemlos, „ich habe so viele Schnecken gesehen. Aber immer wenn ich eine packen wollte, husch war sie weg.“

Heute am 5. Fastensonntag, durfte ich wieder einen Gottesdienst musikalisch mitgestalten. Nicht mit der Bratsche, sondern am E-Piano. Meine wunderbaren Mitstreiterinnen boten alle Kräfte auf, Erkältung hin, Knochen-Probleme her, und ich hatte den Eindruck, dass wir etwas richtig Gutes abgeliefert haben. „Wir sind zwar nur das B-Team“ meinte M., „aber der Heilige Geist treibt uns in Richtung A.“ Mit A war übrigens nicht der gleichnamige Ton gemeint. A-Dur und a-Moll kamen heute nur in Nebenrollen vor. 😉

Kirchenmusiker, so sie nicht mit A-Musiker-Diplom ausgestattet und hauptamtlich bei großen Gemeinden angestellt sind, gelten in der Musikwelt so viel wie Bratscher im Symphonie-Orchester. Nützliche Arbeitstiere, ein bisschen behäbig, meistens gutmütig, aber nicht wirklich ernst zu nehmen.
Als ich noch Organist einer Dorfgemeinde in Oberbayern war, lernte ich einmal einen Kollegen in Kiew kennen. Wir trafen uns an seiner Wirkungsstätte, in der römisch-katholischen Alexander-Kirche, und wir hatten uns noch nicht wirklich unterhalten. Trotzdem zeigte er mir seine Orgel und die Kirche wie einem Kollegen. Ich fragte ihn, woher er wisse, dass ich Organist sei. – Er lächelte und meinte dann: „Wir Kirchenmusiker erkennen uns gegenseitig.“

Da ist etwas dran. Vielleicht hat es ja etwas damit zu tun, dass für uns Dinge wie Applaus, Ruhm und Kohle keine Rolle spielen. Der Heilige Geist entlohnt in anderer Währung. Und nein, nicht in Bitcoin. 😀
Dabei fällt mir ein, dass ich als Bratscher Anspruch auf Bezahlung in der besagten digitalen Währung hätte. Hier mal zum Vergleich die Zeichen, mit denen Bitcoin-Nutzer und Bratscher regelmäßig zu tun haben:

Bitcoin-Symbol Bratschen-Schlüssel
Bitcoin-Symbol (PNG) C-Schlüssel
Bitcoin-Symbol: https://en.bitcoin.it
Bratschen-Schlüssel: CC BY-SA 3.0,
https://commons.wikimedia.org/w/?curid=1088988

Was für eine Ähnlichkeit. Aber so wie Bitcoin-Träume mehr Schäume als klingende Münze (englisch: coin) sind, so müssen auch Hobby-Musiker ohne Reichtümer auskommen. Es sei denn, sie haben diese von Anfang an und gönnen sich Musik als Luxus im wörtlichen Sinne, als Lichtmoment.
Ich gehöre nicht zu den lucky few, denen das Talent in die Wiege gelegt und Goldmünzen ins Gitterbett geworfen wurden. Dass ich das Spiel auf zwei Instrumenten erlernen durfte und die Instrumente mir sogar bis heute zur Verfügung stehen, verdanke ich ausschließlich der Großzügigkeit meiner Eltern und einer Kraft, die zur richtigen Zeit den richtigen Einfluss auf unsere Umwelt ausübte. Was die besagte Kraft angeht, so glaube ich zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. Und auch wenn es aktuell gar nicht gut aussieht, was den Erhalt meiner zwei Instrumente angeht – ich hoffe, dass mir Gelegenheiten bleiben, Musik zu machen. Vor allem zusammen mit Anderen.

Als ich 1997 – 1999 im Orchester der Trierer Uni mitwirkte, war ich für die interne Mitglieder-Liste verantwortlich. Die Bratscher, also meine eigene Fraktion, überschrieb ich mit „Die Violen(ce)“. Wir waren zu sechst und damit unverdächtig, eine Gewalt zu sein. Also darf man wenigstens so tun, als ob.
Zumal die Nachbarn, die Cellisten, zeigten, dass martial arts auch musikalisch sein können. Stichwort Stachel. Cellisten sind gefährlich, Freunde! Reizt sie nicht.

Sandras Kontrabass schoss damals den Vogel ab, fast im Wortsinn. Mehr als einmal schoss der Steg mit lautem Knall in Richtung Dirigentenpult. Martin Folz blieb glücklicherweise unverletzt. Es wäre schade um den Mann gewesen. Was der Kinderchor des Trierer Theaters sicher unterschreiben wird.
Im SWR-Interview zeigt Martin Folz dieselbe Energie, mit der er uns damals mitriss. Auch bei leicht größenwahnsinnigen Projekten wie Mendelssohn-Bartholdys „Lobgesang“.
Es sind solche Herausforderungen, die mir eine Erkenntnis unauslöschlich eingeprägt haben: Auch wenn der Weg steinig ist und am Ende kein glorreiches Ergebnis steht – jeder zusammen gespielte und gehörte Ton ist ein bleibendes Geschenk. In diesem Sinne: Danke, Martin & power on!

3 Gedanken zu „Kunstgewalten

  1. Lieber Thorsten, ich wusste nicht, dass du auch bratschen kannst. Na, dann hat „Die Band“ ja Verstärkung, so du nicht am piano sitzt.
    Guter Text übrigens mit interessanten Eingebungen.!

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