Und ergänze, was unserem Leben fehlt

Halleluja, der Herr ist auferstanden! Was aber tun, wenn’s keiner merkt?

Wer ab und zu in meinem Lautwert-Blog vorbeischaut, sollte gemerkt haben, dass ich eine gewisse Nähe zur römisch-katholischen Kirche habe. Deren höchstes Fest ist Ostern – das Fest der Auferstehung. Wir Christen glauben über alle Bekenntnisgrenzen hinweg, dass Jesus Christus auferstanden ist.

Die Akzente, die wir legen, sind unterschiedlich. Protestanten legen mehr Wert auf das Selbstopfer, das Jesus von Nazareth bei seiner Kreuzigung gezeigt hat. Römische Katholiken und orthodoxe Christen sind sich ausnahmsweise einig, dass die Auferstehung noch wichtiger ist als das zweifellos einmalige Opfer, dass unser Erlöser und Meister am Freitag vor dem jüdischen Pessach-Fest gebracht hat.

So oder so, wir Christen merken sehr genau, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist, auch rund zweitausend Jahre nach dem Geschehen nicht.
Ich hatte einmal die Freude, Leidens- und Auferstehungs-Geschehen am Original-Schauplatz zu feiern. Die Erlebnisse dieser Woche im Heiligen Land würden dieses Lautwert-Blog sprengen, irgendwann mache ich mal ein Buch daraus. Vor zig Jahren habe ich schon einmal angefangen, es zu schreiben. Ich gab das Projekt auf, aus Gründen, wie mein Freund und Kollege H.R. Bruns vielleicht sagen würde.

Was an dieser Stelle aufgegriffen sein soll, ist ein kirchenmusikalisches Himmelfahrtskommando, das ich zu Ostern 1995 in Angriff nahm, auch aus Gründen.
Die vorausgegangene Karwoche war randvoll mit Eindrücken gewesen. Allen voran die unvergessliche Feier des Hohen Donnerstags (alias Gründonnerstag, siehe entsprechenden Blog-Post) in der Dormitio-Abtei. Ebenda fand ich mich auch am Ostermontag ein und erlebte eine Überraschung.
Kurz bevor die Feier losgehen sollte, trat einer der Benediktiner-Patres vor die versammelte Gemeinde und fragte, ob jemand der Anwesenden die Orgel spielen könne. Niemand meldete sich. Hm, ich konnte Orgel spielen, auch wenn ich ein bisschen außer Übung war. Also: Daumen hoch. Und das lange, bevor es Facebook gab. 😀

Es wurde ein Fiasko. Praktisch alle Lieder waren gregorianisch. Ich hatte bis dahin noch nie nach Neumen gespielt, schon gar nicht hatte ich sie mit benediktinischen Profis gesungen.

Exsultet-Auszug in Neumen

Ausschnitt aus dem Exsultet-Lied


Beim Schlusslied witterte ich österliche Morgenluft. „Das Grab ist leer, der Held erwacht” – Wer wie ich im Bistum Paderborn aufgewachsen ist, weiß, was das für ein Kracher ist.
Was ich damals leider noch nicht wusste: Von diesem Kracher gibt es zwei Fassungen. Und während ich die mir bekannte spielte, bemerkte ich, dass die Noten vor mir ganz anders aussahen. Wie gesagt, ein Fiasko. Irgendwie hoffte ich trotzdem, dass unter den durch die Bank deutschsprachigen Gottesdienst-Teilnehmenden der eine oder andere Westfale sein mochte. (Ich hörte aber keinen „meine“ Fassung mitsingen. Grmpf.)

1995 ist eine Weile her und vieles hat sich geändert, nicht zuletzt im Heiligen Land. Anders als viele Zeitgenossen glauben, leben wir Christen nicht hinter dem Mond. Wir bekommen mit, dass während wir von der Erlösung singen, in aller Welt geballert und gekämpft wird. Dass in Palästina Demonstranten erschossen und in Frankreich jüdische Holocaust-Überlebende ermordet werden. Dass mächtige Staatsführer von nuklearer Allmacht träumen und in den USA ausgemachte Scharfmacher Außenamts-Posten zugeschanzt bekommen. Die Kette könnte man endlos fortsetzen. Und von einem leeren Grab keine Spur. Abgesehen von den Gräbern, die erst noch gegraben werden müssen.

Es ist wirklich nicht einfach, bei einer solchen Weltlage, die sich vermeintlich lückenlos überblicken lässt, Auferstehungsglauben zu üben. Aber von „einfach“ im Sinne von „leicht zu schaffen“ hat Jesus von Nazareth auch nichts gesagt. Ostern geht anders.
In den Tagen der Woche vor Ostern, die Christen Karwoche oder Heilige Woche nennen, dachte ich oft: Der Karfreitag entspricht unserer Realität. Vieles geht zu Bruch, Unschuldige werden zu Tode gefoltert oder – wo es zivil zugeht – existenziell zugrunde gerichtet. Menschen gehen mit allen Mitteln gegen andere Menschen vor, jeder hat irgendwo Angst vor „den Anderen“, manchmal sogar zu Recht. Homo homini lupus, diesen Satz prägte der vorchristliche Komödien-Schreiber Titus Maccius Plautus (lebte 254 – 184 vor Christus). Der Mensch sehe im Anderen einen Wolf, solange er ihn nicht kenne, meinte die Dramen-Figur des Kaufmanns in der Komödie Asinaria. In der weiteren Nachbarschaft meiner Nach-wie-vor-Traumstadt Berlin tauchen wieder Wölfe auf, sehr zum Unbehagen von Schäfern und Waldspaziergängern. Ich bin noch keinem Großen Grauen begegnet. Aber ich habe gelesen, dass sie uns in Ruhe lassen, solange wir nicht wehrlos oder allzu vertrauensselig sind. (Komm bei Fuß, braver Wolf, braaav…)
Wölfe sind wilde Tiere mit ausgeprägtem Sozial-Verhalten. Wer nicht zum eigenen Rudel gehört, hat das Nachsehen, das argwöhnische. Na, kommt das jemandem bekannt vor? Plautus‘ Händler-Figur lag offenbar goldrichtig.

Es lagen locker fünf bis sechs Generationen zwischen seinem Ableben und dem Folter-Tod des Jesus von Nazareth. Zuzüglich ein paar Kilometer Abstand, weil Plautus aus Italien kam und die römische Besetzung Judäas erst im Jahr 6 nach Christi Geburt so richtig Fahrt aufnahm.
Wenn wir von uns heute die gleiche Zeitspanne in die Vergangenheit gehen, wo landen wir dann? Am Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Aufklärung hatte ihre Blütezeit hinter sich, Kriegsherren mit religiöser Flaggenpracht waren wortwörtlich auf dem Vormarsch. Damals gab es noch keine globalen Massenmedien, deswegen machte mensch kein Aufhebens darum. Aber es gärte trotzdem. Bis es knallte, wieder und wieder, wie im Popcorn-Kessel.

Was hat dieser zugegebenermaßen sehr grobe Rückblick mit dem heutigen Osterfest zu tun?
Ganz einfach. Ostern feierte man damals auch, überall in der vom Christentum geprägten Welt. Und jeder glaubte sich, wenn er denn glaubte, in Gottes Wohlwollen. Anders als der Nachbar, der widerwärtige, der widerspenstige, der ungläubige, der andersgläubige, der… und so weiter.
Wir packen es einfach nicht, dieses Hochfest der Auferstehung. Wir kapieren nicht, was der wieder und jetzt erst recht Lebendige uns zeigen will. Etwa, dass der Horror dieser Welt nicht das letzte Wort hat. „Was können Menschen mir antun?“ heißt es in einem Psalm. – Eine ganze Menge. Das zeigt sich beispielhaft an Jesus von Nazareth. Festnahme, die ganze Nacht hindurch Verhöre, Folter, Spießrutenlauf der Extraklasse, Kreuzigung und damit die fieseste Hinrichtungs-Methode, die die europäische Antike hervorgebracht hat, das ist alles nicht zum Lachen.

Und dann kommt Ostern. Mit seinen Erzählungen, die deutlich zeigen: Auch die Jünger des Jesus von Nazareth wollten den vom Grab kommenden Frauen (ja, lieber römischer Klerus, den Frauen!) nicht glauben, dass sie den gekreuzigten Meister quicklebendig getroffen hatten. Wenn die schon nicht, wie dann die Berliner heute, die mir auf meinem Heimweg von St. Richard in Rixdorf entgegenkamen? Die jetzt in die TV-Röhre gucken (ich kann die Glotzen hören).

Ich möchte rufen: „Wach(e)t auf!“ Aber das ist ja ein Advent-Lied. Und Advent, zu Deutsch: die Ankunft des lebendigen Herrn, bekommen wir aus eigener Kraft nicht hin. Das liegt in der Natur der Sache, ein erlösendes Kommen kann man nicht erzwingen.

Morgen ist der Emmaus-Tag, der Tag der Begegnung mit dem unerkannten Erlöser. Ich werde ihn musikalisch feiern, an einer bis dato unerforschten Orgel. Ostern ist ein Fest der Überraschung. Und sogar im engeren Sinne dauert es eine ganze Woche! Zeit genug für einen Osterkorb voller unerwarteter Geschenke.

Euch allen, liebe Blog-Leser, frohe und belebende Ostern! Das Beste bekommen wir geschenkt, vor allem das, was uns fehlt und das wir uns nicht selber geben können. Halleluja.
Ostereier mit Palmzweig

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