Die größten Schätze liegen im Verborgenen. Soll heißen: im Inneren. Zum #Erntedank gibt es heute ein gut umhülltes Dankeschön.
Ich bin ein Eis-Fan, paleo hin, primal her. Das beste Eis überhaupt genoss ich Mitte der 90er Jahre in meiner Herzensheimat Odessa. Und zwar im Dezember. Damals gab es in der Hafenstadt am nordwestlichen Schwarzen Meer keine mobilen Kühlanlagen – abgesehen von denen, aus denen Softeis gepresst wurde. Probiert habe ich es nie, das Gesundheitsrisiko war mir zu hoch, Salmonellen winkten.
Anders das gute „staatliche“ Eis. Auf der Straße fand es nur Absatz, wenn winterkalte Luft als natürliches Kühlaggregat einsprang. Also im November, Dezember und Januar. Ich erinnere mich mit Wehmut an ein super-leckeres Sahne-Eis, das ich im Dezember auf der Sovetskoj Armii schleckte, während mir dicke Schneeflocken um die Ohren wehten.
Eis, zu Russisch мороженное, kennt zwar eine Saison, aber keine Erntezeit. Es wächst ja nicht an Bäumen.
Heute, am 6. Oktober, feiert man in den meisten Region Deutschlands das Erntedankfest. Im Gottesdienst, den ich am Morgen in St. Richard musikalisch mitgestaltete, spielte das halboffiziell auch im Kirchenkalender verankerte Fest keine Rolle. Pater Kalle Lenz brachte das Thema „Dankbarkeit“ aber durchaus mit in die Liturgie.
Entsprechend disponiert und von meinen Erntedank feiernden Lieben im Nordwesten angeregt, beschloss ich, einen thematischen Wanderweg mit doppelter Einkehr auf den Sonntagsgangplan zu setzen. Die Stationen standen bereits seit einer Woche fest, beide in Karlshorst.
Seit ich montags beruflich immer in Karlshorst bin, hege ich gegenüber diesem Stadtteil zärtliche Gefühle.
Karlshorst ist voll mit Ostberliner Stil und ebensolchen Charakteren. Ein bisschen stachelig, auf den ersten (und zweiten) Blick wenig einladend, mit viel Grau und überaus holprigem Staßenpflaster, das sogar Fußgängern wie mir den Angstschweiß auf die Stirn treiben kann. Stichwort Dorothea.
Ich hatte schon immer ein weit offenes Herz für Underdogs und andere Exoten. Ich bin selbst einer, also kein Wunder, dass ich mit Gleichartigen sympathisiere. Aber es dauerte trotzdem eine Weile, bis meine Liebe zu Karlshorst entbrannt war.
Ich bin und bleibe in Neukölln verankert. Aber die montäglichen Wanderungen gehören zum festen Rhythmus, der für mich extrem wichtig ist. Karlshorst bedeutet für mich:
– Wandern durch Straßen und Wald
– Fährüberfahrt (F11, mon amour)
– Flanieren an Obstbäumen und Bienenstöcken vorbei (autsch! – einmal fand eine Wildbiene mich nicht sympathisch)
– alle zwei bis drei Wochen ein Mittagessen im netten griechischen Lokal Syrtaki und
– in der Eis-Saison: PRINZENEIS!!!
Letztgenannte Eis-Manufaktur hatte Anfang der 40. Kalenderwoche bekanntgegeben, dass am Sonntag, den 6. Oktober, der letzte Eistag 2019 sei.
Schniffz. Aber als Schluss-Tusch hatte sich das Team eine Hammeraktion ausgedacht: Pro Nase zwei Kugeln Eis und (auf Wunsch) ein Becher Glühwein. Genial! Zum Teufel mit den Saison-Regeln, Eis und Heiß vereint. Und das alles unter einem Motto, das zum Fest passt, das in Karlshorst möglicherweise niemand feierte. „Wir wollen DANKE sagen.“ Siehe Bild.
Nur zu gern hätte ich mich meinerseits bei den Eisprinzessinnen und Eisprinzen bedankt. Aber meine Ernte, die ich bei mir trug, tja, war schon anderweitig reserviert.
Ich halte nicht viel von sinnentleerten Festtags-Bräuchen. Als Stadt-, ja, Metropolen-Bewohner, habe ich keine wirklich enge Beziehung zu Obst- und Gemüseanbau. Ich bepflanze meine Loggia mit Kräutern und Kleingemüse, immerhin. Aber meine befreundete Ex-Kollegin C2 und ihre Liebe C1 machen es definitiv besser. Vegans win.
Als ich, nach kurzem doppelten Zwischenstop, von der heimischen Minifarm zum Fähranleger Baumschulenweg wanderte, hatte ich eine Stofftasche dabei. Beim Einpacken derselben hatte ich mir keine Gedanken gemacht, warum das gut sein könnte. In Schöneweide fiel es mir ein.
Im August 2018 hatte ich dort eine für mich rätselhafte Frucht vom Baum gepflückt. Sie roch intensiv, sehr fruchtig. Ich traute mich nicht, ein Stück davon in den Mund zu nehmen, nicht einmal ein winziges.
Ich alter Angsthase. Die Panik war wahrscheinlich vollkommen unnötig. Allerdings hätte mir das Fruchtfleisch wohl nicht verraten, womit ich es zu tun hatte.
Das erfuhr ich erst ein Jahr und knapp einen Monat später. Da kam ich, auf dem Wanderweg zum Karlshorster Montagsjob, an demselben Baum vorbei. Diesmal lagen die Früchte auf dem Boden. Kein Grün mehr, kein Wohlgeruch. Statt dessen schlammige, schwarze Klumpen. Ein paar davon zeigten ihr Inneres. Ekelhaft?
Nö, ganz und gar nicht. Die vermeintlich giftigen Baumfrüchte waren (und sind) – Walnüsse! Und die habe ich heute eingesackt. Ganz gezielt. Und so kam ich am Erntedank-Sonntag zu einer späten aber dafür sehr reichen Ernte.
Jetzt liegen 171 Walnüsse im Wohnzimmer und trocknen. Einhunderteinundsiebzig. Jemand neidisch da draußen? Dann lasst es mich per Kommentar wissen. Ich sage erstmal nur Dank. Erntedank. Und ich teile übrigens gerne…
Ja, Thorsten, Du bist nunmal in eine nuss-freundliche Familie geboren. Mein Vater hatte den nötigen Knacker immer in Reichweite liegen. Und auch ich mache das nicht anders. Dazu kommt, daß, gleichgültig welches Gesundheitsbuch man aufschlägt, die Nüsse immer eine sehr positive Rolle spielen.
Viel Freude bei der Trockenlegung und dem dann folgenden Genuss.
Hauptstadt-Nüsse hat nicht jeder zu knacken.
Dein Vater