Mitgefangen

Das Evangelium von heute setzt ohnehin leidgeplagten Boutiquen-Betreiber*innen zu. Die erste Lesung lässt dafür Tier-Fans schäumen. Er kriegt uns alle!

Schon klar, liebe Atheist*innen und agnostische Aktive, Euch kratzen die Heiligen Texte zum zweiten Sonntag der österlichen Bußzeit (aka Fastenzeit) nicht. Ist vielleicht auch besser so, denn sie sind alle nichts für Anfänger beziehungsweise am Einsteigen Interessierte.

Kurz zusammengefasst: In einer Tageslesung wird ein Mann dazu aufgefordert, seinen einzigen Sohn buchstäblich abzuschlachten und anschließend zu verbrennen. Bäh, abgefahren. – Im anderen Text geht es zwar super friedlich zu, dafür tauchen hier zwei Leute auf um sich gleich wieder in Luft aufzulösen, dazu gibt es eine Lightshow vom Feinsten und eine Stimme aus dem Off. Die Lightshow hatte ich im Blick, als ich von den Boutiquen sprach, die maßnahmenbedingt niemand einkleiden oder auch nur persönlich beraten dürfen. Im Evangelium (Mk 9, 2–10) heißt es heute:

(2) Und nach sechs Tagen nimmt Jesus Petrus und Jakobus und Johannes mit und führt sie für sich allein auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen umgestaltet; (3) und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß, so wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann.

Wie sagte der Barista meines Vertrauens, als ich direkt nach dem Orgeldienst bei ihm vorbeischaute: „Jesus Christ!“ –

Jou, um den geht es. 😉 Und nicht um Johnny Walker, wie manche denken könnten, denen das Vokabular der zitierten Elberfelder Bibel-Übersetzung von 1855 aus biographischen Gründen nicht mehr geläufig ist.
Alte Sprache, schwere Sprache. Und wahrhaft schwerer Stoff. Aber immer noch leicht im Vergleich mit der Story aus dem Alten Bund, den ich lieber Thanach nenne. Aus biographischen Gründen, die hier zu weit führen.
Kurz zusammengefasst: Abraham soll seinen einzigen legalen Sohn auf einen Berg mitnehmen und da als Brandopfer verfeuern. Das sagt ihm ausgerechnet Der, der ihm diesen Sohn wider alle Wahrscheinlichkeit und mit vielen Zukunftsplänen versprochen hat. Erst als der Sohnschlachter zum Todesstoß ansetzt, wird ihm Einhalt geboten. Und statt des Sohnes Isaak muss ein namenloser Widder dran glauben, der sich mit seinem Gehörn in einem Busch verheddert hat.

Was würde aus diesem Stoff werden, kümmerten sich moderne Drehbuchschreiber darum? Splatter! Auch, wenn sich die vegane Community ebendieser Schreiberlinge annimmt. („Holt mal eben den Attila…“)

Es war mir schon immer ein Rätsel, wie sich ernstzunehmende Theologen bei ihrer Forderung nach einer konsequent veganen Lebensweise ausgerechnet auf die Heilige Schrift berufen können. Ob der Blick in die hebräische Bibel oder in die Evangelien samt Apostelgeschichte, Briefen und Geheimer Offenbarung geht, überall wird geschlachtet. Zugegebenermaßen entwickelt sich da etwas. Während in den alten Schriften alle Beteiligten ihre Zeitgenossen bei Bedarf über die Klinge (beziehungsweise mittenrein) springen lassen, splattern später nur noch die Bösen. Von Ausnahmen abgesehen, wa, Malchus?

Aber mal ehrlich: Wem geht bei einigen von heute, dem 28.2. 2021 stammenden Nachrichten, nicht innerlich der Holster auf? Demonstrierende werden mit scharfen Waffen massakriert, Missbrauchsopfer erfahren durch laut Bekunden moralisch hochstehende Seelen-Hirten keine Gerechtigkeit, manche von genau diesen Männern (sic) erklären Frauen als minderwertig (auch wenn sie es anders ausdrücken) – die Reihe geht endlos weiter. Und das jeden Tag wieder. Von kindischen Aktionen in Impfzentren möchte ich gar nicht erst anfangen, wem nützte das etwas?

Also gut, auch wenn ich Menschenopfer rundheraus ablehne, genau so wie Hinrichtungen jeder Art und Begründung, mich außerdem ungebrochen als Pazifisten verstehe und von Natur aus mit Geduld in angeblich schier unerschöpflichem Maß begabt bin – auch ich kann sauer werden. So sauer, dass ich die Kontrolle verliere. Ist bisher nur dreimal vorgekommen und jedes mal ging es sehr glimpflich aus. Aber es hat mich jedes mal schockiert. Wie, so kann ich sein?!

Kann ich wohl. Das ist menschlich. Wir sind nun einmal Raubtiere mit einem gewaltigen Hirnanbau. Ich glaube, dass wir mehr sind als unser faszinierender Organkomplex im Schädelinneren. Aber diese Neuronen, deren Schaltplan nach wie vor niemand zu 100 Prozent durchschaut, gehören zum Paket, zum Geschenk des Lebens.

Es macht Hoffnung, dass sich in beiden harten Texten des zweiten Fastensonntags 2021 zeigt, dass mehr im Paket ist, als das, was uns mit ausgestorbenen Riesenechsen verbindet. Deren Nachfahren erfreuen uns übrigens jetzt wieder zunehmend mit Gesang! Es wird Frühling, merkt jeder. Wenn es wahrhaft Ostern wird, kriegen das auch alle mit.

(9) Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot er ihnen, dass sie niemand erzählen sollten, was sie gesehen hatten, ehe nicht der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden sei. (10) Und sie hielten das Wort fest und besprachen sich untereinander: Was ist das, aus den Toten auferstehen?

(Mk 2, 9 – 10)

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