Grün gewinnt

Sehr junge Kresse-PflänzchenIch beklage oft, dass mir der Grüne Daumen fehlt. Ich habe ein Herz für junge Pflänzchen. Primal sein heißt, Wachsendes zu lieben.

Und das fängt schon bei der Ernährung an. Mark Sisson, seines Zeichens Primal Blueprint-Verfechter und bekennender Carnivore (das bedeutet Fleischfresser), ermahnt seine Leser und Seminar-Besucher immer wieder, genügend grünes Gemüse auf den täglichen Speiseplan zu setzen. Fleisch allein taugt nichts, unsere Vorfahren vor rund 10.000 Jahren und noch wesentlich früher waren nachweislich Fans von Kräutern und Pflanzen. Archäologische Funde belegen das. (1, 2)

Radikaler Zeit- und Szenenwechsel. Gestern vor einer Woche sah ich mir eine Wohnung in Berlin an, die ich gerne als Nachmieter übernommen hätte. Der derzeitige Bewohner ist Catering-Koch und hatte den Balkon eindrucksvoll bepflanzt. „Wenn Sie hier einziehen, können Sie den ´Garten´ gerne übernehmen“ meinte der freundliche Herr R. Seine Lebensgefährtin grinste, als ich antwortete. „Oh, ich übernehme diesen Reichtum gerne. Und dann mache ich daraus, passend zur Balkon-Lage, die Hängenden Kräutergärten von Berlin.“

Einem professionellen Koch wie Herrn R. müsste bei dieser Vorstellung doch eigentlich das Herz höher schlagen, oder? Mir als leidlich geübtem aber natürlich rein liebhaberischem Hobby-Garer geht es jedenfalls so. Alle Jahre wieder pflanze ich klassische Küchenpflanzen an. Vorgestern streute ich Kressesamen in einen Topf, in dem seit ein paar Wochen eine Paprikapflanze scharfe Schoten liefert. Dieses Gewächs übernahm ich bereits mit ersten reifen Beständen von meiner griechischen Gemüsehändlerin. Nächstes Jahr werde ich versuchen, Capsicum annuum selbst zu ziehen, Samen habe ich ja genug. Die frisch geernteten Schoten pflege ich immer sofort am grünen Teil oben zu durchstechen und dann mit früher abgenommenen Peperoni an einem Faden oder Draht aufzureihen.

So verfahre ich mit reifen Früchten – in diesem Fall sind sie nicht einmal süß. 🙂 Ein bisschen schwerer fällt es mir jedesmal, wenn ich die jungen possierlichen Kräuterpflänzchen von ihren Wurzeln reißen muss. Wie gut, dass Kresse nicht schreien, jaulen oder sonstwie klagen kann. Ich bin mir jedenfalls immer bewusst, dass ich ein Leben vorzeitig beende. Und hoffe, dass es wenigstens keines mit eigenem Bewusstsein ist. Nein, ich will jetzt nicht schon wieder eine Lanze (sic!) für meine metzgerisch tätige Verwandtschaft brechen. Es macht eben schon einen Unterschied, ob ich einen Grashalm abreiße, der wieder nachwächst, oder ein Schwein schlachte. Letzteres kann auf jeden Fall Schmerz empfinden, in Stress geraten und sich nach Kräften wehren, und sei es durch einen Fluchtversuch. Pflanzen laufen nicht weg. Aber es gibt Versuche, die darauf hindeuten, dass manch Grünes Reize innerlich weiterleitet und darauf so reagiert, dass es einem menschlichen Gefühl ziemlich nahe kommt. (1, 2)

Als ich letzte Woche einen Freund meines Vaters im küstennahen Greifswald besuchte, durfte ich wunderschöne und weitgehend naturbelassene Gebiete entdecken, die von wildem Grün, salzigem Wasser und einer reichen Tierwelt geprägt sind. „Du wirst es lieben“ hatte mir eine Freundin per Facebook angekündigt, als ich über die unangenehme Anfahrt im heillos überfüllten Regional Express geklagt hatte. Sie hatte vollkommen recht. Wenn ich es, wie geplant, im Herbst mit meinem Umzug an die Spree schaffe, werde ich bestimmt bald einen Wochenendausflug an die Ostsee-Buchten in Mecklenburg-Vorpommern unternehmen. Zwei landeskundige Fremdenführer haben ihre Dienste bereits angeboten: Ein 9-jähriger Jagdhund namens Santos und sein weidmännisch gepräger Herr. Keine Sorge, auf die Jagd gehe ich nicht mit den beiden. Dem Wachsen des Schilfs zu lauschen, genügt mir vollkommen. Grün ist die Farbe der Stille. Und die Stille siegt immer.

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