Frei im Flug

Mit dem Pfingstsonntag ist die Oster-Festzeit abgeschlossen, der Kurs für uns Gläubige gesetzt. Freuen wir uns auf die Kurskorrekturen?

Pater Kalle Lenz SAC hielt sich an Franziskus. Nein, nicht an den gleichnamigen Papst, sondern an den italienischen Heiligen, nach dem sich der amtierende Bischof von Rom benannt hat.
„Kleiner Vogel, du willst doch leben. Hier in der Kirche wirst du verhungern. Deswegen gebe ich dir jetzt einen Segen, dass du nach draußen findest.“ Er sprach es und – der Singvogel blieb erst einmal in St. Anna. Alles andere wäre ja nur ein Standard-Wunder gewesen. 😉 Von wegen spontan und so. Echte Wunder dauern etwas länger. Auf den Trichter sind im 20. Jahrhundert Ingenieure gekommen. Ebenfalls auf Forscher dieser Epoche geht das Hummel-Paradoxon zurück. Demnach fliegt eine Hummel, weil sie keine Ahnung hat, dass sie es eigentlich gar nicht kann.
Der französische Insektenforscher Antoine Magnan (1881 – 1938) stellte 1934 in einem Buch korrekt fest, dass ein Flugzeug mit dem Bau der plusterigen Bienen-Verwandten nicht fliegen könnte. Das Hummel-Paradoxon ist aber nur ein bon mot: Es klingt schön, dass alles möglich ist, wenn man nur nicht nach den Details fragt.

Ich frage leidenschaftlich gerne nach Details. Obwohl ich kein Naturwissenschaftler bin. Nur ein Mensch mit starkem Hang zur Natur. Das Wort „Natur“ bedeutet eigentlich „Hervorgegangenes“ oder „Geborenes“. Im Deutschen sagen wir meist „Schöpfung” dazu. Ein Ausdruck mit Untiefen, die ich an dieser Stelle nicht diskutieren möchte. Nicht im vorläufig letzten Artikel meines Lautwert-Blogs.
Es ist kennzeichnend für die uns umgebende Welt, dass alles mindestens eine Quelle hat und das meiste fortstrebt. Insoweit verhielt sich der Vogel heute Morgen in St. Anna vollkommen natürlich. Er war von draußen durch den Haupteingang gekommen, wie später die Gläubigen. Und er wollte wieder raus. Seiner Gewohnheit folgend, indem er nach oben flog. Nur: Da war nicht die Tür, sondern die Decke.

Es hatte etwas Dramatisches, wie der Kleine immer wieder mit dem Rücken oben anstieß, sich an Lampenkabel, Mauervorsprünge und Fensterfugen krallte und lautstark in den Kirchenraum rief. Zwischendurch testete er aus, wie nah er uns flugunfähigen Riesenschreitvögeln kommen durfte, ohne in Gefahr zu geraten. Vor mir, dem Organisten, hatte er kaum Angst. Bei einem Vorüberflug spürte ich den Luftzug seiner Flügelschläge. Tja, jemand hatte dem Vogel wohl verraten, dass Organisten öfters eine Meise haben. 😉

Heute thematisierte Kalle Lenz SAC es nur am Rande: Es ist richtig und wichtig für Christen, auf die Stimme des Herrn zu hören – und diese Stimme vom „Gesang“ des eigenen Vogels unterscheiden zu lernen. Zum Pfingstfest ist diese Übung hochaktuell. Und ich persönlich sah in dem Freiheitswillen des unfreiwilligen Kirchenvogels ein Muster meiner selbst. Immer da lang, wo ich mich auskenne. Abstecher sind erlaubt, aber nur, wenn die Grundrichtung stimmt. Für den Meiserich hieß das: Nach oben. Und bei mir?

Die Analogie ist holperig, ich weiß. Aber so ticke ich nun einmal. Bei jedem neuen Flugmanöver des aufgeregten Federbällchens dachte ich: Flieg nach unten! Die Tür steht auf. Du musst doch hören, dass deine Artgenossen lauter klingen, wenn du etwas tiefer fliegst. – Aber er flog nie tiefer als drei bis vier Meter unter der Decke. Das Beste, das einzig Hilfreiche, entging ihm. Statt dessen hackte er vor die bunten Glasscheiben. Das wird nie etwas, dachte ich, da hilft auch kein Reisesegen für Vögel…

Doch, der Reisesegen von Pater Kalle half. Mit ein bisschen Support von Gemeindemitgliedern und „Bodenpersonal“.
Eine Gottesdienstbesucherin zeigte sich zuversichtlich, dass der Vogel sich nach unten orientierte, wenn man die Lichter ausschalte und die Tür noch etwas offen lasse.
Der Küster stellte ein Schälchen mit Wasser auf der vordersten Altar-Stufe auf. Eine alte Dame nickte mit dem Kopf und meinte: „Der hat bestimmt Durst, nach der ganzen Flatterei.“ – Sie hatte recht! Denn kaum war in St. Anna etwas Ruhe eingekehrt, saß die Meise im Altarbereich am Boden. Als ich mich ihr näherte, um eine Liedtafel abzuhängen, flog sie in die Sakristei. (Ej, Vogel, willst du Ministrant werden?) Von da aus war es ein Kinderspiel. Die Tür zum Kirchenraum zu, die Tür nach draußen auf, etwas Bewegung und – Lebe wohl, kleine Meise.

Wenn wir es dem Geist, der es gut mit uns meint, doch ein bisschen leichter machten. Aber vielleicht hilft uns das Wissen, dass wir ihn einladen dürfen, näher an uns heran zu kommen. Komm, Schöpfer Geist! Kehr bei uns ein. Und nehm uns unsere Angst.

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