Von Herzen geschlagen

Alles Gute zum Valentinstag? Geh mir weg. Oder sollte ích ihn ausnahmsweise mal genießen?

Vor langer Zeit las ich eine Glosse, in der es um den Frühling ging. In erster Linie um die ihm zugeschriebenen Gefühle und wie genau die sich öffentlich darstellen. Die Autorin der Glosse schrieb sinngemäß:

„In mir wecken die glücklichen Pärchen ringsum
den MG-und-Niedermäh-Reflex.“

Ich war schon damals eine durch und durch pazifistische Seele. Trotzdem fühlte ich mit der unbekannten Autorin. Ratatatata…

Ich bin älter geworden. Dem hektisch knatternden MG würde ich heute die gemütliche Hafenkanone vorziehen.
Der Onkel macht nur Spaß, Google. 😉

Mal im Ernst, mich wühlt es nicht mehr auf, wenn in eisiger Februarkälte bei strahlendem Sonnenschein massenweise sich anglorende Paare jeden Alters meine Wege kreuzen. Wie vorhin geschehen. Ja, wer alleine lebt, lebt ersteinmal ziemlich ungesund. Aber wo steht geschrieben, dass alles im Leben gesund ist? Zum Teufel mit der Paleo-Polizei. Auf keinem anderen Gebiet lässt sich so wenig Selbstoptimierung üben wie auf dem Feld der Zwischenmenschlichkeit.

Natürlich habe ich mich verpasster Gelegenheiten schuldig gemacht. Ich kann aus dem Stehgreif mindestens von dreien berichten. Was ich hier nicht mache. Aber: Eines war immer gleich. In der jeweiligen Situation hatte ich in gewisser Weise keine Wahl. Ich hätte jedes mal über einen frühabendlichen Schatten springen müssen, also über einen extrem langen. Fragt Bundesjugendspiel-Richter der 70er Jahre im Sauerland, wie ich als Weit-Springer so drauf bin. Toll, woll?

Szenenwechsel, neuer Aufzug, Auftritt Corona. Es ist das erste Mal, dass im modernen Deutschland der Tag der Zweisamkeit in eine Zeit amtlich verordneter Kontaktvermeidung fällt. Klar, die „amtlichen“ Paare husten dem Amtsschimmel was. Wo naturgegeben, mit Viren an den Aerosolen. Berlin ist so groß, dass Paare mit getrennten Wohnungen locker eine Stunde mit den Öffis fahren, um die bessere Hälfte zu treffen. Fernbeziehung à la Bundeshauptstadt.
Im Schwedischen gibt es den Begriff „​(en) särbo“. ​ – Das hat nichts mit dem ehemaligen Jugoslawien zu tun, sondern bedeutet „Mensch, der in einer Fernbeziehung lebt“. Wer särbo ist, hat’s gerade schwer. Ich nicht, obwohl ich einer bin. Sogar Särbo in 4D!
Meine Fern-Beziehungen betreffen nicht nur dreidimensionale Geo-Koordinaten (Länge, Breite, Höhe über Normal Null), sondern haben einen zusätzlichen Aspekt: Die Zeit.

Schlichte Gemüter werden jetzt denken: Thorsten wieder, er spricht von der Vergangenheit.
Ich mag schlichte Gemüter. Vielfach verehre ich sie sogar, siehe unten. Aber mein Blog schreibe ich nicht für sie. Bevor es weitergeht, ein kurzer Exkurs, warum ich eigentlich blogge.

Es geht mir nicht um Ruhm, Bekanntheit, „Followers“.
Es geht mir nicht darum, Ideen in die Welt zu pusten.
Es gibt genug Stimmen im WWW.

Es geht mir darum, die eine oder andere verwandte Seele anzusprechen.
Besonders, wenn wir uns früher begegnet sind und uns aus den Augen verloren haben.

Im vergangenen Monat feierte ich einen kleinen Blog-Jahrestag, weil durch Lautwert.de sich jemand bei mir nach einem runden Vierteljahrhundert meldete, mit dem mich damals etwas herzlich verbunden hatte.
Das mag an dieser Stelle genug sein. Sollte die betreffende Person diesen Text lesen, weiß sie, dass sie gemeint ist.
Ihr Lebensweg führte in eine Richtung, die für sie und ihre Lieben gut ist und in der sich unsere Wege wahrscheinlich nicht wieder kreuzen. Sollten sie es doch, bin ich sicher, dass sie danach zuverlässig wieder auseinander führen und das wäre richtig.
Obschon neue Nähe weder erreichbar noch sinnvoll ist, fühle ich mich doch mit diesem Menschen lebendig verbunden. Auch mit nicht wenigen weiteren, wo die Beziehung von keiner Seite als Paar-Verhältnis gesehen oder angestrebt wurde. Sage noch eine/r, ich sei einfach gestrickt. Leider nicht, denn Schlichtheit ist eine Tugend. Das christliche Mittelalter nannte sie Einfalt. Ein Ausdruck, den heute niemand mehr richtig versteht – Mediävist*innen ausgenommen.

Mein Lehrer Richard Loftus SJ sagte einmal: „Die meisten Menschen können nur durch eine Paar-Beziehung erfahren, was Liebe bedeutet.“ – Am Valentinstag, der dieses Jahr unter einem hoffentlich einmaligen Vorzeichen steht, nehme ich wahr, wie diese Erfahrung von außen aussieht. Und ja, es gibt Momente, in denen ich mich nach genau dieser Erfahrung sehne. Ich bin schließlich auch nur ein Mensch, wa? Aber einer, der kein MG braucht, um jemanden auf Wolke 7.1 zu befördern. Ins Jenseits kommen wir alle rechtzeitig. Glaube ich.
Wenn ich den Herrn im Lukas-Evangelium (​Lk 20, 34–36​) richtig verstehe, dann ist bei Ihm sozusagen durchgängig Valentinstag.

Ich wünsche allen Liebespaaren eine an Wundern reiche Zeit! Feiert euer Glück, so lange eure Herzen schlagen. Wir sehen uns später. Und ich bringe auch keine Kanone mit, versprochen. (bumm)

2 Gedanken zu „Von Herzen geschlagen

  1. Sehr schön geschrieben. Man muss sich aber richtig Zeit nehmen für diese Zeilen. Und da sind wir einer Meinung, zahlreiche WWW-Menschen haben keine Zeit dafür. Das wird auch so bleiben. Ich lese weiter, Montag für Montag.

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