Hau die Nachtigall

Denn die hat mit dem Schlagen angefangen! Darauf ein Buh-Ruf. Und ein Minnelied.

Was ich in der Pandemie am meisten vermisse? Ganz klar: das Singen im Chor. Auch wenn es kein vollwertiger Ersatz ist, ist mir wenigstens regelmäßiger aktiver Solo-Gesang anvertraut. Dass ich mal zum Kantor mutierte, hätte ich mir vor wenigen Jahren nicht vorstellen können.

Ich war nämlich nie eine Rampensau. Mich als One Man-Band nach vorne drängen und losträllern – na gut, das kam schon vor. Aber selten, ich kann die Erinnerungen locker an einer Hand abzählen. Und nie ging es dabei um Balzgehabe. Nicht wirklich.

Lautstark um weibliche Aufmerksamkeit werben, das ist was für Typen mit schönerem Federkleid. Nee, ich meine keine Lackaffen, sondern männliche Singvögel, die letzten lebenden Nachkommen der zweibeinigen Raubsaurier.
Ja, Vogelfreunde, Ihr wisst es eigentlich. Was vermeintlich zu unserer Freude allerliebst zwitschert und piepst, ist eine knallharte Rockerbande. Ein uralter Musiker-Witz geht so:

Was sind die drei ärgsten Feinde des Rockmusikers? – Frische Luft, helles Tageslicht und das unerträgliche Gebrüll der Vögel.

Heute ist an die Stelle des Rockmusikers ein IT-Admin gesetzt, aber ich las oder hörte den Witz Mitte der 90er-Jahre und da haben die Admins von heute noch geroot. Kleiner Insider. 😉
Musiker gibt’s ja auch schon viel länger als ITler. Gleichwohl nicht so lange wie die singenden Ur-ur-sonstwas-Enkel der Raptoren. Zu diesen musikalischen Saurier-Erben gehören übrigens auch die Sibirischen Krähen, die sich schon länger in Berlin vermehren. Rabenvögel sind Singvögel, ob es den Liebhabern von Amseln (meine Favoriten), Meisen und anderen Sopran-Vogelstimmen nun passt oder nicht. Sibirische Krähen erkennt man an ihren hellgrauen Rücken- und Brust-Federn. Ich mag sie, weil sie sehr schlau sind und das auch offen zeigen. Dass sie mich regelmäßig gegen 5 Uhr morgens wecken und eine sich auf die Laterne vor meinem Fenster setzt, geschenkt.
In Berlin Neukölln sind sie immer noch New kids on the block, da muss vogel schonmal etwas auf die K… äh, Krähe hauen. (Puh, gerade noch mal die Spammerlockruf-Kurve gekriegt.) Die aus dem Nordosten eingewanderten Hartschnäbel werden die gefiederten Platzhirsche schon nicht vergrätzen. Dafür sind die Local natives viel zu wendig, zu gut versteckt und – zu lautstark. Denn laut sind sie, die Nachtigallen.

Eine befreundete Biologin verriet mir einmal, in Berlin gebe es mehr Nachtigallen als im gesamten Bundesland Bayern mit seinen riesigen ländlich geprägten Flächen. Keine Ahnung, ob das damals stimmte oder heute stimmt. Aber sicher ist: Sie sind da, die Berliner Nachtigallen. Unter und über uns. Und dieses Jahr sind sie besonders hart drauf.

Für alle, die noch nie bewusst eine Nachtigall gehört haben: Die winzigen Vögelchen beherrschen eine Vielzahl von unterschiedlichen Melodien. Aus denen die Männchen gewissermaßen Mix Tapes basteln und die öffentlich zu Gehör bringen. Am heftigsten zwischen 9 Uhr abends und 5 Uhr morgens. Man muss kein Ornithologe sein, um diesen Sound irgendwann im Schlaf zu erkennen. Buchstäblich, denn wenn das Fensterglas wie bei mir den Schall nicht dämpft, liefern die Nachtigallen den Soundtrack zu den Traumlichtspielen. Das einzige Kino, das auch zu Pandemiezeiten öffnet. Muss ich mich jedes Jahr wieder dran gewöhnen. An die federzwarte Filmmusik, meine ich. An dauerhaft geschlossene Kinos gewöhne ich mich niemals!

Normalerweise schlafe ich ab der dritten Nacht des Sängerkriegs ein, während sich ein gefiederter Walther von der Vogel(!)weide mit seinen Rivalen misst. Vielleicht kommen die ja aus dem nahegelegenen Stadtteil Schöneweide. Ich wander da immer montags durch. Und wenn ich da nächstes Mal Krähen mit sibirischen Wurzeln treffe, dann habe ich einen Auftrag für sie, einen dreckigen Job: расплата.

Sprich sich „rasspláta“, ist Russisch (für sibirische Krähen verstehbar) und bedeutet „Rache“. Für mich gut mittelalterlich, bitte.
Tja, Nachtigallen, ihr habt euch mit einem osteuropäisch geprägten und theologisch interessierten Mediävisten angelegt. Ganz üble Kombi. Übel für euch. Harrr.

Denn der Job läuft so: Weil ihr so klein seid, ich euch im Dunkeln nicht sehen kann und viel langsamer bin als ihr, schicke ich euch die Krähen auf den Hals. Ich versuche mich einfach als St. Franziskus, der sich im Hochmittelalter nicht zu schade war, Vögeln zu predigen. Wahrscheinlich zu Friedens-Themen. Aber so sanft, wie ihn viele heute sehen wollen, war Francesco der barfüßige Mönch gar nicht. Kreuzzüge fand er nicht übel, Kriegszüge hatte er als junger Mann selber mitgemacht und für brennende Scheiterhaufen mit unnachgiebigen Gegnern oben drauf, oh, konnte er sich bestimmt herzlich erwärmen. (Qualm, qualm.)
Dagegen wird mein Schöneweider Krähen-Aktionsaufruf geradezu ein Love and Peace-Event. Ein höfisches Turnier, mehr will ich gar nicht. So wie damals auf der Wartburg. Wo es neben dem eigentlichen Sängerwettstreit garantiert auch ein bisschen zünftiges Tjosten gab. Für Nicht-Mediävisten: So nannte man den Turnierkampf mit Lanzen. Konnte schnell in’s Auge gehen, auch buchstäblich. Aber eigentlich war es schon lebensgefährlich, in voller (schwerer) Rüstung vom Pferd zu fallen. Und wehe, der siegreiche Kontrahent hatte Lust auf mehr Krawall, dann setzte es noch einen Schwertkampf.

Zu dem werde ich meine Kampfkrähen nicht ermuntern, das wäre unfair. Ihre starken scharfen Schnäbel gegen bewundernswert feintönende Spitzschnäbelchen – nein! Weil Krähen als Feinflöter den Nachtigallen hoffnungslos unterlegen sind, werde ich ihnen bloß das Lanzenturnier empfehlen. Denn Rabenvögel verstehen sich auf den Gebrauch von Werkzeugen! Stöcke zum Nahrung angeln, zum Beispiel. Das haben Meisen und andere Winzlinge nicht drauf. So wenig wie ihre strohdummen Vorfahren. Sorry, T-Rex, nicht persönlich neh… mampf.

Alles nur Phantasie, Kopfkino. Damit das für meine Leserschaft nicht zum Horrorfilm im Traumkino wird, zum Abschluss ein bisschen Musik. Begleitet von mir am E-Klavier zu hören: Walther von der Vogelweide nebenan und Hundedame Marta. Bitte, bitte, hêre frouwe, gewêrt dem ritare minne!

3 Gedanken zu „Hau die Nachtigall

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