Berlin, Stadt mit Herz

und Schnauze, klar oder? – Nö. Meine Wahlheimat bleibt immer anders.

Knacks, perdautz. Wäre ich ein Comic-Zeichner, was ich nie war noch je sein werde, würde ich die Geschichte von heute mit diesen zwei Worten in einer Sprechblase garnieren. Und mit einem Piraten als Bösewicht.

Ort der Handlung: Der Tempelhofer Hafen in Berlin. Ich wusste lange Jahre selber nicht, dass an der östlichen Straßenseite des Tempelhofer Dammes ein echter kleiner Hafen liegt. Und das, obwohl ich besagtem Damm schon oft nach Mariendorf gefolgt bin. Es war ein Event meines derzeitigen Arbeitgebers, das mich bewog, zum ersten Mal durch ein ziemlich hässliches Einkaufszentrum zu gehen und so mitten auf das Hafengelände zu kommen. Da liegen wirklich Boote vor Anker!
Einige scheinen da für immer fest zu liegen. Andere machen jedenfalls auf mich alte Landratte (quiek) den Eindruck, sie können irgendwann doch noch die Anker lichten und in ferne Gewässer fahren. Oder wenigstens auf die Spree.

Wie es sich für einen Hafen gehört, gibt es das passende „Zubehör“. Da wären malerische Last-Kräne, Lastlok-Gleise, Bootstege und eine kleine aber feine Hafentreppe.
Letztere stieg ich hinauf, beladen mit, äh, Einkäufen. Aus dem hässlichen Einkaufszentrum.

Drei Stofftaschen hatte ich in der einen Hand, in der anderen Hand einen in Mariendorf ausgeliehenen Regenschirm.
Seit ich in Berlin lebe, habe ich keinen eigenen Regenschirm mehr besessen. Als Kind hörte ich oft, wenn ich über das Nass von oben klagte: „Du bist nicht aus Zucker.“ Biologisch ziemlich richtig, nicht nur damals im Regen-verwöhnten Sauerland. Irgendwann, wenn auch ziemlich spät, hatte ich gelernt und verinnerlicht: Durch Regen nass werden macht Spaß! Warum also in einen Schirm investieren, der bei windigem Wetter zum Segel mutiert, das mir einen Kurs aufzwingt, den ich gar nicht will?

Als ich mit meiner Ladung die Tempelhofer Hafentreppe hoch stieg, war der Schirm zusammengefaltet. Es nieselte etwas, aber das war wirklich kein Grund, das Segel zu hissen. Dieses Treppchen schaffe ich ja wohl ohne Windkraft.
Natürlich. Oben angekommen setzte ich frohgemut Heimat-Kurs, kontrollierte nochmal kurz die Ladung, feuerte die Zehenschuhe an und … knacks perdautz.

Was war passiert? Vibrams, wie meine bevorzugten Zehenschuhe auch genannt werden (Werbepause Ende), haben jede Menge Vorzüge. Aber einen Nachteil: Auf blankem feuchten Grund werden sie zu Schlittschuhen. Mit denen konnte ich noch nie umgehen. Was sich jetzt wieder zeigte.
Wer mich schon einmal gesehen hat, weiß, dass ich nicht gerade klein gewachsen bin. Das hat viele Vorzüge, in Summe noch mehr als meine Zehenschuhe. Auch hier gibt es einen einzigen Nachteil: Wenn ich falle – und den Sturz wirklich nicht mehr verhindern kann – dauert es bis zum Aufschlag quälend lange. Und ein Stück weit erlebe ich auch, welcher Zusammenhang zwischen Schwerkraft und Bewegungsenergie besteht.

Diesmal hatte ich Glück. In mehrfacher Hinsicht. Denn zum einen fing der zusammengeklappte Regenschirm einen Teil der Energie ab. Bekam ihm nicht gut. Aber besser Schirmbruch als Knochenknacks.

Ein anderer Glücksfall (hihi) zeigte sich nach der Landung. Die ich mit der linken Tragfläche bewerkstelligte. Also mit meinem linken Arm, in erster Linie mit seiner unteren Einheit.
Klar, erstmal wusste ich nicht, wie mir geschehen war. Dann kamen die Schadensmeldungen von den unterschiedlichen Gefechtsstationen.

„Hier Füße. Was ist denn da oben schon wieder schief gegangen? Bei uns ist diesmal alles okay.“
„Milz an Großhirn, gib mir mehr!“
„Linke Tragfläche. Geht’s noch?!“
„Großhirn an alle: Beruhigt euch. Wir können gleich weiterfahren. Beine, bringt uns wieder auf Reiseflughöhe.“
„Beine hier. Nur die Ruhe, Murmel. Wir bleiben noch ein bisschen liegen.“
„Ist alles in Ordnung? Können wir helfen?“

Das letzte kam nicht von innen, sondern über die Ohren von außen. Die Augen, deren neue Bebrillung (manchmal gönne ich mir einen Neologismus 😉 ) einwandfrei gehalten hatte, suchten und fanden die Klangquelle. Es waren zwei blutjunge Mädchen, schätzungsweise um die 16 Jahre alt. Beide wirkten ernsthaft besorgt und ließen nicht so schnell locker. Was mir mächtig imponierte. Unterdessen brachte mir ein unwesentlich reiferer nahöstlich wirkender Langbartträger mein Smartphone zurück, das buchstäblich einen Ausflug gemacht hatte. Aus der Jackenaußentasche im hohen Bogen auf das sprichwörtlich harte Pflaster der Hauptstadt. Wo sonst auch mal die eine oder andere Fresse aufschlägt, Alter.

Meine nicht, ganz im Gegenteil. Der Smartphone-Wiederbringer bot vielmehr an, mir aufzuhelfen. Die beiden jungen Ladies blieben ebenfalls in Bereitschaft. Bei allen dreien bedankte ich mich herzlich und ausgiebig, nachdem ich wieder aufrecht stand. Bevor wir dann alle wieder unserer Wege gingen.

Alle? Nicht wirklich. Meine Ladung war unbeschadet, einschließlich der Bio-Eier, die ich im hässlichen Einkaufszentrum bekommen hatte. Aber der geliehene Schirm, o weh…

Nun, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und wo ich falle, brechen Schirme, so ist das eben.
Nach diesem Erlebnis akzeptiere ich eine übliche Erscheinung allerdings nicht mehr. Zum Mitschreiben: Wer zukünftig in meiner Gegenwart pauschale Urteile über „die Jungen“ oder „die Araber“ fällt, der bekommt von ganzem Herzen was auf die Schnauze. Verbal versteht sich. Aber so, dass es knackst. ‚ch schwör. 😉

2 Gedanken zu „Berlin, Stadt mit Herz

  1. Da hast Du ja Glück gehabt! Die FiveFingers gibt es auch mit „3,7 mm Megagrip-Gummiaußensohle“. Just for info! Wünsche eine sturzfreie Woche!

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