Was tun bei dicker Luft?

Zufälliges Treffen im abendlichen Neukölln, Café PiccalillyGanz einfach: Erst einmal tief durchatmen. Und dann nichts wie raus!

Es muss nicht immer die primale Bewegungslust allein sein, die einen aus den eigenen vier Wänden treibt. Auch wer den Empfehlungen von Mark Sisson in Sachen Ernährung und Lebensstil folgt und fleißig experimentiert, ist nicht vor miesen Tagesanfängen gefeit.
Heute Morgen wusste ich noch vor dem Aufstehen, dass der Tag kein Zuckerschlecken würde – auch nicht im kohlenhydratfreien Sinne. Die Freude am Süßen lässt sich nicht dauerhaft abtrainieren, Bären und Bienen können ein Lied davon brummen. Entscheidend ist, dass mit der süß schmeckenden Lust wenn möglich keine nennenswerten Mengen an Einfach- und Mehrfach-Zuckern in den Organismus gelangen. Für diese Aufgabe gibt es mehrere Lösungen. Sie sollten allesamt nicht zu häufig angewandt werden, denn der größte „Feind“ der primalen Ernährungsweise ist Gewohnheit. Körper und Geist immer wieder zu überraschen, darin besteht die Kunst, an der mensch sogar Spaß haben kann und soll.

Manchmal überrascht das Gespann aus Geist und Körper auch von sich aus. So geschah es heute Morgen bei mir. Die Träume, an die ich mich erinnern konnte, waren von niederdrückender Art. Immerhin keine Albträume, wie sich sich am Anfang der Umstellung gelegentlich einstellten. Ich wurde seinerzeit nicht etwa von antiprimalen Lebensmitteln wie Kartoffel-Chips oder Graubrot verfolgt. Aber die Umstellung ist von Herausforderungen und durchaus auch von Konflikten geprägt. Ich finde es jedesmal wieder faszinierend, wie sich das Gehirn mit solchen Gegnern auseinandersetzt und einem letzlich den bestmöglichen Umgang damit erschließt.

Um das sagenhafte Denk-, Speicher-, Orientierungs- und ganz allgemein Hauptsteuer-Organ bei seiner Ackerei zu unterstützen, empfiehlt Fitness-Trainer Mark Sisson bewusst angestrebte geistige Anstrengungen (etwa Fremdsprachen lernen, Musizieren, Diskutieren,…) und so viel unangestrengte Bewegung draußen wie möglich.
Gleich nach dem Aufstehen war das heute für mich leider nicht möglich. Ich musste zuerst noch ein zweistündiges Telefonat absolvieren, wenigstens mit einem sehr angenehmen Menschen am anderen Ende der Leitung. Kaum, dass ich den Hörer aufgelegt hatte, wusste ich aber, dass die weiteren Tagesordnungspunkte kaum zum Jubeln sein würden. Im Briefkasten würde bestimmt nicht der heiß ersehnte Wohnungsbescheid aus Berlin liegen (er war wirklich nicht da), ein zweiter Auftraggeber würde mir garantiert auf die digitale Pelle rücken (was er tat), das schöne Sonnenlicht würde mich verfehlen, denn… – Moment! Nein, das musste nicht sein!

Ein anderer Anruf, der auf dem AB gelandet war, gab mir einen Anlass, die Wohnung zu verlassen und sogar bis in die Stadtmitte, nun gut, mit der U-Bahn zu fahren. Aber das im Stehen, so wie ich es mir angewöhnt habe. Manche Gewohnheiten sind durchaus primal.
Die Stimmung in den Münchener ÖPNV-Mitteln ist nie fröhlich locker. Wenn in knapp zwei Wochen das Oktoberfest beginnt, ist statt muffeliger Grantelei volltrunkene Gröhl-Akustik angesagt, für kein bisschen besser. Aber so lange einem die Mit-Passagiere prinzipiell noch klar in die Augen schauen können, nutze ich die Gelegenheit gerne zum Lächeln, wie es der einzig angemessene Ausdruck gegenüber Anderen für mich ist.

Das Lächeln verging mir auf der Post. Mein Anliegen war bescheiden und für mich gab es keinen Grund, mich aufzuregen. Ich blieb auch ruhig, war damit aber fast der einzige. Drei Leute stritten lautstark mit Post-Mitarbeitern, orientierungslos wirkende Kunden irrten durch den Raum und wussten nicht, an welcher Stelle die Warteschlange begann. Es war alles zusammengenommen kein Volksfest, eher ein Jahrmarkt. Ich mag keinen Trubel, auch nicht bei der Post.

Ich konnte zum Glück bald wieder gehen. Und das ist einfach der Schlüssel: Bewegung, gerne auch einfach nur Fortbewegung. „Wir sind nicht dazu geschaffen, die ganze Zeit auf unserem A[…] zu sitzen“ bemerkte einmal treffend ein bekennend atheistischer Freund – das mit dem „geschaffen“ nehme ich also mal nicht wörtlich. 😉 Aber ansonsten hatte S. vollkommen Recht. Niemand muss gleich zum Nomaden werden, aber lange Arbeitssitzungen und unbewegte Geistesanstrengung brauchen ein Gegengewicht. Das findet sich vielleicht für manche in der berühmten Muckibude. Gewichte gibt es da mehr als genug. Ich bevorzuge lange Gänge über Wege, Straßen und Wiesen. In schweißgeschwängerten Sportstätten fehlt mir der freie Auslauf. Na, und die Luft? – Genau: Die ist viel zu dick.