Pilger 2.0

Als Student nannte ich mich gerne den „Wanderer“. Was einige Leute falsch auslegten. Hätte ich besser „Pilger“ sagen sollen?

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dann weniger missverstanden worden zu sein. Statt schelmischen Lächelns wäre dann mutmaßlich Kopfschütteln angesagt gewesen. Hape Kerkeling hatte schließlich den Jakobsweg noch nicht zum modischen Must-Do erhoben.

Seit ich laufen kann, bin ich gerne zu Fuß unterwegs. Auch als ich noch fettleibig war, genoss ich lange Wanderungen. Am liebsten am Meeresstrand. Da kam es am wenigsten auf’s Tempo an.
Mit Eile und Hast hatte und habe ich es nämlich nicht so. Am liebsten mache ich mein eigenes Tempo. Wegen meiner langen Beine kann das für neben mir Laufende zur Herausforderung werden. Noch schlimmer, seit ich eben nicht mehr allzu voluminös und im Tempo nicht über Gebühr eingeschränkt bin. An meiner Fuß- und Beinarbeit musste ich nichts feilen, das ergab sich ganz von selbst. Nachdem der Primal-Hebel umgelegt war.

Seit dieser Umstellung fällt mir auch das Pedal-Treten leichter. Wohlgemerkt an der Orgel, denn einen Drahtesel besitze ich schon lange nicht mehr. In Berlin sind auf den Radwegen für meinen Geschmack zu viel Raubritter unterwegs, als dass ich die Anschaffung eines Stahlrosses für sinnvoll hielte.
Da halte ich mich doch lieber an den einsamen Trampelpfad, den die wundervolle Klais-Orgel in der Kapelle des Alexianer-Krankenhauses St. Joseph Berlin Weißensee anbietet. Es ist immer wieder eine Riesenfreude, an diesem herrlichen Instrument zu spielen.

Erst seit diesem Jahr komme ich ein bis zweimal pro Monat zu diesem Vergnügen. Die Gemeinde legt großen Wert auf Abwechslung und darauf, dass die Musizierenden eigene Akzente setzen. Das bedeutet unter anderem, dass die Liedauswahl bei uns Organistinnen und Organisten liegt.
Für den 5. Sonntag der Osterzeit 2019 suchte ich Lieder aus, die den Aspekt des Neuen betonten, wie es Mess-Texte (Eingangs-Vers, Lesungen und auch Evangelium) nahelegten. Für das Lied zur Gabenbereitung, für die es durchaus thematisch zugeschnittene Lieder gibt, traf ich – wie bei mir nicht anders zu erwarten – eine exotische Auswahl. Die Nummer 820 aus dem Berliner Regionalteil zum Gotteslob.

Um es kurz zu machen: Mit dem Lied habe ich den Vogel abgeschossen. Beziehungsweise die Gemeinde, wie man gleich hören wird. 😉
Nach der Messfeier sprach mich ein älterer Mann an. Er umfasste meinen rechten Unterarm und mir wurde erst etwas mulmig, weil der Mensch wild wirkte: Camouflage-Hose, zerschlissene Jacke, nicht unbedingt gepflegtes Äußeres. Aber um so netter. „Danke für das Orgelspiel, Bruder! Schalom alejchem und ich wünsche Dir morgen einen gesegneten Sonntag!“ Dann zog er lächelnd weiter.

Ich habe Grund zu der Annahme, dass man den Wilden Bruder mehrmals raushört.
Für den kleinen Schockeffekt vor der dritten Strophe bitte ich um Entschuldigung. Offenbar hat mir, wer zuletzt den Trompeten-Register zog, einen Hängeton hinterlassen. Aber nach ein bis zwei Schrecksekunden war der Spuk vorüber und das Pfeifen-Blech macht seinen Job. Also, wer möchte, stelle jetzt die Lauscher auf und drücke beherzt auf den Play-Button. Und nicht zu leise hören, ein von Herzen kommendes Schalom muss heute laut sein, bei all den Meschugoim in einer bekloppten Welt. Lasst uns wandern und den Frieden mitbringen. Zu Pfingsten kriegen wir Verstärkung. 🙂

Der Spieltisch der Klais-Orgel im Alexianer-Krankenhaus St. Joseph Berlin Weissensee

4 Gedanken zu „Pilger 2.0

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