Singt ein neues Lied!

Zum Singen neuer Lieder fordert eines meiner Lieblingskirchenlieder auf. In Malmö nahm ich das mehr als wörtlich.

Auch andere Gemeinden haben schöne Lieder. Das weiß ich schon lange. Eine Erkenntnis aus langjähriger Praxis im Katholisch Fremdgehen. 😉

Ich fing schon früh mit dieser Fremdgeherei an. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass ich – ohne es anzustreben – zum Nomadentum neige. In Regensburg studierte ich, an den Wochenenden fuhr ich nach Oberbayern, um ebenda die Kirchenorgel zu spielen. Sonntagabends war ich dann meistens wieder in der Oberpfalz und ging bevorzugt in die Abendmesse der Regensburger St. Wolfgang-Gemeinde. Schließlich bekommt man als Organist nur schwer die Kommunion mit, die geistliche Kommunion ist für mich nach wie vor problematisch.

Gut 20 Jahre später habe ich viele Erfahrungen als Gast in anderen christlichen Gemeinden gesammelt. Russische Orthodoxie, Freikirchen, hanseatisch geprägte Evangelische Landeskirchen – die Reihe ist lang. Und wie schön, dass beim katholisch Fremdgehen niemand verletzt wird, auch nicht in seinen Gefühlen.

„Moment mal!“ höre ich selbsternannte Inquisitoren und womöglich auch Mitarbeiter von römisch-kirchlichen Autoritäten brummeln. Gerade nannte ich die mutmaßlich wenig verbreiteten aber nicht verwerflichen Besuche in Gemeinden meiner eigenen Konfession „katholisch fremgehen“ (kopfschüttel), dann schwenke ich mit demselben Begriff in ökumenische Gewässer mit dunklen Untiefen. „Darf der das?“ (Das sind sie, die selbsternannten Bekenntnis-Wächter. Die kriegen gleich noch was ab, versprochen.)

Die Freiheit nehme ich mir. Anders als für manchen im Gemeindeleben aktiven, sonst aber wenig reflektierenden Konfessions-Genossen, ist die Eucharistie für mich die unumstößliche Mitte des gelebten christlichen Glaubens. Eine Gemeinde ohne Danksagung (Übersetzung von Eucharistie) nach der Weisung Jesu ist in meinen Augen ein netter Versuch, braucht aber ganz dringend Hilfe von oben.
Dabei macht es für mich erst mal wenig aus, ob die eucharistische Abstinenz von der Gemeinde gewollt oder durch äußere Umstände vorgegeben ist. In jedem Fall ist das ein schwerwiegender Mangel, der nach besten Kräften behoben gehört.

Ich habe, seit ich erwachsen bin, noch nie an eucharistischem Mangel gelitten. Bis jetzt macht die katholische Kirche, allen Austrittswellen und leeren Kirchenbänken zum Trotz, ihrem Namen alle Ehre: Katholisch heißt weltumspannend, allgemein.
Egal, wohin ich bisher kam, überall fand sich eine römisch-katholische Gemeinde, in der ich mit den Gebräuchen vertraut bin und deshalb sogar ohne tiefergehende Sprachkenntnis der Gottesdienstfeier folgen kann. Eucharistische Gemeinschaft inklusive, wie gesagt, das ist für mich der Kern.

Mitte des jetzt noch laufenden Monats Juli 2019 ergab sich in Malmö eine Besonderheit.
Bei der Suche nach der Uhrzeit des Sonntagsgottesdienstes in der römisch-katholischen Erlöser-Gemeinde Malmö (Vår Frälsares församling), wo ich im Sommer 2018 an einer wunderbaren Feier teilgenommen hatte, stieß ich auf Details, die mich abstießen.
Ich mag das Opus Dei nicht. Und mindestens drei der sechs in besagter Gemeinde tätigen Geistlichen gehören laut offenem Bekunden dieser Gemeinschaft an.

Eigentlich hatte ich mich sehr auf die Sonntagsmesse in Vår Frälsares församling gefreut, hatte extra deswegen einen Sonntag in die Mitte meines Schweden-Urlaubs gelegt. Und jetzt lief dieses geplante Highlight Gefahr, wegen des Opus Dei gegen die Wand zu fahren. Auch wenn ich über die Konfession mit den OD-Leuten verbunden bin, zu Hause fühle ich mich bei ihnen nicht.

Was also tun? – Nun haben wir als katholische Kirchgänger fast überall die Freiheit, eine Vorabendmesse zu besuchen, wenn der Sonntag aus nicht zu beeinflussenden Gründen für die Gemeindefeier ausscheidet.
Ich bekenne mich schuldig, euer Ehren Großinquisitor, ich hätte am betreffenden Sonntag die Auswahl zwischen gleich vier Messen in Vår Frälsares församling gehabt. Und ich entschied mich trotzdem für den Vorabend. Das war eine denkwürdige Messe, weil die erste bisher erlebte, die komplett auf Kirchenmusik verzichtete. Ob Gloria oder Sanctus, alles wurde gesprochen. Das schuf eine spirituelle Dichte, deren Erfahrung ich nicht missen möchte. Alle Achtung, Gemeinde!

Aber der Grund, warum ich mich zur Teilnahme an dieser im eigenen Sinne „stillen“ Messe entschieden hatte, war ein anderer.
Liebe Ankläger von der recht(s)gläubigen Fraktion, Ihr müsst mir jetzt einfach mal glauben, dass es eine Geist-liche Eingabe war. Kein Befehl, eher eine Art Vorschlag.

S:t Petri Malmö, Hochaltar und Klais-Orgel
Hochaltar und Klais-Orgel in S:t Petri Malmö

Am Sonntag-Vormittag nahm ich an einem Hochamt (Schwedisch: högmässa) in der St. Peters-Kirche teil. Das eindrucksvolle Kirchengebäude S:t Petri wird von der lutherischen Svenska kyrkan genutzt und eine „högmässa“ ist hier ein protestantischer Gottesdienst mit Kommunion. Die hier übrigens genau so heißt, nicht Heiliges Abendmahl.

Dass in der Schwedischen Kirche, wie sie in S:t Petri präsent ist, einiges anders läuft als bei den Protestanten in meinem deutschen Umfeld, wurde klar, nachdem die unbeschreiblich beeindruckende neue Klais-Orgel (eingeweiht im Mai 2019) mit dem Spielen begonnen hatte.
Als erstes fiel mir fasziniertem Fremdgeher auf, dass die Pastorin in einem durchgehend liturgisch gefärbten Messgewand durch den Mittelgang einzog. Der Ablauf des Gottesdienstes, wie er im anfangs ausgeteilten Liedheft stand, zeigte praktisch keine Abweichung von der Ordnung, wie ich sie aus meinen römisch-katholischen Gemeinden kenne. Nur die Leseordnung war eine andere und die wichtigsten Gebete (das Vater unser-Gebet und das Glaubensbekenntnis) waren modernere Übersetzungen als die, die ich aus dem schwedischen katholischen Gesangbuch Cecilia kenne.

Nach wenigen Minuten war für mich klar: Heute bin ich hier mehr zu Hause als ich es in der gleichzeitig stattfindenden Messfeier der römisch-katholischen Gemeinde wäre. Und das lag nicht nur an der wundervollen Orgel, nicht nur an mehreren Wiedererkenn-Erlebnissen, nicht nur an der großartigen Predigt, von der ich alles (!) verstand und viel mitnahm.
Nein, es war die tiefe Erkenntnis, dass wir alle, zumal alle Christen, die die Nähe Jesu suchen und im Geheimnis der Danksagung finden, zusammengehören. Wir mögen noch so unterschiedliche Feierweisen, Gebetsformeln, Ansichten und Bräuche haben – das ist alles in Ordnung und muss (darf!) nicht einer abstrakt verordnenden Einheitlichkeit aufgegeben werden. Wenn wir Katholiken (s.o.) eines wissen und in einigen Fällen aus persönlicher Erfahrung kennen, ist das: Der Kern ist entscheidend, nicht die Verpackung, die Hülle. Missionare waren immer da dauerhaft erfolgreich, wo sie die Frohe Botschaft so an Menschen weitergaben, dass diese sie verstanden und in ihre Lebenspraxis einbetten konnten. Dass dabei seltsame Feste, zum Beispiel Halloween, und sinnleer gewordene Bräuche vom Kaliber Weihnachtsbaum entstanden sind, geschenkt.

Entscheidend ist, dass Gottes Gegenwart in der gemeinsamen Feier nicht an den Rand oder gar extra muros gestellt wird.
Die Kommunion in S:t Petri konnte es an spiritueller Dichte locker mit den tiefsten und schönsten Eucharistiefeiern aufnehmen, die ich bis jetzt erleben durfte. Wenn es da denn einen Wettbewerb gäbe. Ich musste nach der lutherischen Messe an einen Cartoon von Werner Tiki Küstenmacher denken. Ein Besuch seiner Website lohnt sich!

Und ja, werte Kath(.net)-Pharisäer, ich bin in S:t Petri zur Kommunion gegangen. Und ich werde es jederzeit wieder tun, wenn ich in Malmö bin.
(Ich hatte den Eindruck, dass die Pastorin wusste, dass da ein Ökumene-Christ vor ihr stand, als sie mir ein Stück von der großen Oblate gab. 🙂 )

Dass ich hier nicht nur unter Freunden, sondern unter Geschwistern war, deren Sprache ich zunehmend besser verstehe und auch spreche, merkte ich an einem weiteren Punkt. Bei der Kirchenmusik natürlich. Denn hier kenne ich mich wirklich aus.
Die besten Schwedisch-Lektionen verdanke ich Kirchenliedern. Bisher fast ausschließlich solchen aus dem katholischen Gesangbuch Schwedens, der „Cecilia“. – Jetzt werde ich versuchen, an ein Exemplar des „Psalmboken“ zu kommen. Eine legale ePub-Ausgabe scheint es nicht zu geben, da bleibt wohl mir nur, ein gebundenes Exemplar zu bestellen. Oder ich gucke mal in der Schwedischen Gemeinde vorbei, ich weiß, wo sie hier in Berlin zu finden ist.

Werde ich den römischen Katholiken Berlins nun untreu? Auf gar keinen Fall. Zumal ich mit Leidenschaft für sie orgel und mit ihnen singe. So auch gleich wieder.
Aber wer mich als Kirchenmusiker kennt, ahnt, was kommt. Ich bin berüchtigt dafür, neues Liedgut in die Liedpläne zu pflanzen und das arme Sangesvolk darf dann sehen, wie es zurecht kommt. Nicht wahr, Steffen?

Letztes Jahr gab es so manche fremde Weise aus der Cecilia. Und die gibt noch mehr her, hähä. Aber heute Abend setzt es erst einmal Tonkost aus dem Psalmboken. Ein neues Lied, ein ökumenisches Lied. Hier ist es, als Rausschmeißer gespielt an der Orgel der Klosterkirche Mater Dolorosa im Prenzlauer Berg.

Gud, för Dig är allting klart. Psalmboken Nr. 217

4 Gedanken zu „Singt ein neues Lied!

  1. Die Freiheit nehm ich mir 🙂 für mich auch und bleibe voll katholisch. Oft bekomme ich neue Anregungen in freikirchlichen Gottesdiensten. Auch neue Lieder zu singen – gerne zusammen! – erfrischt und kräftigt. Ich glaube, das freut auch Gottes Herz und wärmt meines.

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