Den Himmel offen

Insider wissen, woher der heutige Blog-Titel kommt. Und dass er terminlich fehl am Platze ist.
Warum habe ich ihn trotzdem für den 1. Advent gewählt?

Zugegeben, dem Zitat fehlt etwas. Alleine schon grammatisch, denn ein korrekter Satzbau sieht anders aus. Etwa so:

55 Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen
56 und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.

(Quelle: Apg. 7,55f in der Einheitsübersetzung 2016, www.bibleserver.com)

Er respektive ich ist hier Stephanus, der erste namentlich bekannte Märtyrer des noch jungen Christentums. Sein Gedenktag ist der 26. Dezember, also der 2. Weihnachtstag. „Stephani“ sagt man in Bayern dazu.

Aus diesem vermeintlich treu katholischen Bundesland bin ich vor nunmehr gut sieben Jahren weggezogen und bereue das nach wie vor nicht. – Ich erlebe mein Berliner Dasein als spirituell wesentlich reicher. Spirituell reicher heißt aber nicht notwendig luxuriöser. Das lateinische Wort „lux“ bedeutet „Licht“ und so meine ich hier das „nicht luxuriös“. Es gibt Dinge, die dunkler geworden sind. In der Adventzeit, die heute angefangen hat, wird das sehr konkret.

Im Moment werden die Tage noch kürzer, die Wintersonnenwende ist dieses Jahr am 22. Dezember.
Von meinem Großvater väterlicherseits ist überliefert, dass er am Abend des kürzesten Tages vor das Haus trat um feierlich beziehungsweise freudig zu verkünden, dass nun die Tage wieder länger würden. Mein Opa war ein gläubiger Mann und praktizierender Kirchenmusiker. Darin komme ich nach ihm, sonst aber unterscheidet uns viel. Zum Beispiel die familiäre Einbindung.

Mein Opa Robert stand einer großen Familie vor. Alle Kinder – und später auch Enkel – lebten in seiner Umgebung. Mindestens mit dem damals selbstverständlichen Auto konnte man sich gegenseitig besuchen.
Wenn ich meine Lieben leibhaftig sehen möchte, muss ich mich in einen Zug setzen. Der fährt durchschnittlich einmal pro Tag und für die einfache Strecke braucht er zweieinhalb Stunden.
Klar, es gibt das Telefon, und das benutzen wir auch. Von modernen Kommunikationswegen wie Videofonie und Co ganz zu schweigen.
Aber auch die ausgefeilteste Technik ermöglicht eines nicht: Miteinander adventliche Hausmusik zu machen.

Hausmusik hat in unserer Familie eine nicht allzu intensiv gepflegte, aber dafür weit zurückreichende Tradition.
Meine ältesten Erinnerungen reichen in die späten 70er Jahre zurück. Damals trafen wir uns so gut wie jeden Sonntag mit einer befreundeten Familie, immer abwechselnd bei uns und bei ihnen. Der Musikgeschmack der Altvorderen wie von uns Kindern war zeitgemäß, Siebziger eben. Ein Klavier als ideales Begleitinstrument für älteres Liedgut, gab es bei der Familie H. nicht. Bei uns damals übrigens gerade auch noch nicht.
Was wir aber unser Eigen nannten, war eine leicht transportable Tischorgel. Das Instrument war vollelektrisch, keine Pfeife weit und breit. Der Klang hing dementsprechend irgendwo zwischen Harmonium und Schweineorgel (quiiiek).
Spaß beiseite, Tiere wurden nicht gequält. Und unter den Adventliedern, die wir an den Adventsonntagen sangen, habe wenigstens ich nicht gelitten.
Damals sagte man mir nach, dass ich nicht singen könne. Bei Zwölfjährigen nicht verwunderlich. Ich brauchte – nach dem Ende des Stimmbruchs – trotzdem Jahre, um diese gerne breitgetretene Einschätzung, nicht zuletzt meiner Eltern, zu überwinden. Bei den Adventabenden mit unseren Freunden gab es eine Alternative zum ungesicherten Stimmbandapparat: meine Melodica.

Dieses Instrument, dessen zwei Oktaven mir den Weg zu Klavier und Orgel gebahnt haben, befindet sich jetzt bei meinen Eltern in Lüneburg. Es wartet.
Nein, nicht auf mich. Vor knapp zwei Jahren dachte ich, es könnte vielleicht meiner Nichte die wunderbare Welt der selbstgespielten Musik zugänglich machen. – Meine Nichte ist tatsächlich musikalisch, was sie vor allem ihrer Mama zu verdanken haben dürfte. Aber mit der über ein Plastik-Mundstück zu blasenden Melodica ihres Onkels mochte sie sich von Anfang an nicht anfreunden. Ehrlich gesagt, ich an ihrer Stelle hätte mich aus Ekel verweigert. Schön, dass der Onkel ihr sagt, dass das zweite Mundstück noch nie benutzt wurde. Aber kann man diesem Typen trauen? Mmh. 😉

Bis zum Stimmbruch hat meine Nichte – nennen wir sie hier und fürderhin im Blog „Nina“ – noch einige Jahre Zeit. Und ich freue mich täglich tierisch darüber, dass sie bereits jetzt in einem Kinderchor mitsingt und daran Riesenspaß hat. – Ich gäbe viel darum, mit ihr und der ganzen Familie Adventlieder singen zu können. Aber ich bin der Vorposten, ohne fahrbaren Untersatz. Mich, den östlichen Vorposten, zu besuchen, ist für die Kernfamilie ausgeschlossen. Früher war mehr Lametta, äh, Luxus. Siehe oben.

Nun gut, Adventmusik mache ich trotzdem. Heute war ich wieder an der Orgel in St. Richard. Und als Kantor, zu dem ich mittlerweile mutiert bin, habe ich mir selbst wieder bewiesen, dass wenigstens der Stimmbruch überwunden ist. (Die Ankläger von damals haben mich noch nie solo singen gehört. Seit damals nicht.)
Das für mich Dunkelstimmende: Jetzt, bei einem einsamen Kerzenlicht, fällt die Adventmusik sehr isoliert aus. Jedenfalls sollte sie das, denn in der Hausgemeinschaft weiß ich mich als Christgläubigen mutterseelenallein. So gilt gnadenlos die Hausordnung, nach der Musik auf Zimmerlautstärke begrenzt werden muss.

Ich aber habe vorhin laut gespielt. Auf dem Klavier und mit eingeschaltetem Mikrofon. Denn auch, wenn ich Türen und Fenster geschlossen halten muss und eigentlich nicht bis ins Treppenhaus hörbar musizieren darf: Es ist Advent, ihr Heiden. Im Vertrauen darauf, dass ihr nicht gleich mit Steinen werft, spiele ich euch –

den Himmel offen.

Klavier-Improvisation über „O Heiland, reiß die Himmel auf“

1 Gedanke zu „Den Himmel offen

  1. Während ich nach dem Lesen die Klavier-Improvisation höre, schreibe ich diese Zeilen. Ja, Advent, ein Lichtlein brennt. Die Welt wird irgendwann begreifen, daß eine grosse Koalition mit dem Christentum doch eine gute Sache wäre. Denn, wie es jetzt läuft, kann es nicht weiter gehen. Alles läuft menschlich aus dem Ruder.
    Übrigens: Die K(G)ernfamilie wird sicher in 2020 nach Berlin kommen
    Wir freuen uns aber zunächst auf Dein Kommen am 22.12.. Dann wird auch gesungen – miteinander.

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