Gaudete-Sternspitze

Nur gekränkte Eitelkeit oder im Ansatz heiliger Unmut? – Eine Kritik der etwas anderen Art.

Vorab erstmal ein Lob. Für den Zelebranten, der am Gaudete-Sonntag eine festliche Heilige Messe feierte, ohne dass ihr etwas gefehlt hätte. Und zwar in Rekordzeit. „Bis 10 nach 7 müssen wir durch sein“ gab er in der Sakristei als Losung aus, das waren exakt 40 Minuten. Katholische Insider wissen, mit zwei Lesungen, Evangelium, Predigt und Glaubensbekenntnis ist das sportlich.

„Wir haben eine Punktlandung hingelegt“ merkte ich nach der Messe nicht ohne Stolz an. Denn sicher war den Gläubigen aufgefallen, dass die Kirchenmusik sich sehr zurücknahm, nur bei einem Stück, dem Lied zur Gabenbereitung, gab es zwei Strophen. Alle anderen waren „einteilig“, praktisch ohne hinleitendes Vorspiel. Und Nachspiele fielen komplett aus. Nun, im Advent sind Kirchenmusiker Zurücknahme gewohnt und ich mache den Job schon einige Jahre.
Trotzdem, dieser Dienst war eine Herausforderung. Und gerade weil mir im Vorfeld angesichts der Vorgaben ein bisschen unwohl war, empfand ich Genugtuung, dass es perfekt geklappt hatte. Insbesondere in puncto Spiritualität, denn wo Kirchenmusik sie selber ist, dient sie. Das glaube ich. Modern berlinerisch formuliert: ‚ch schwör, Alta.

Wenn man dieses ultra-kurze Berliner Glaubensbekenntnis hört, kommt es meistens aus dem Mund junger Männer, die mit der katholischen Weltkirche (doppelt gemoppelt, aber geschenkt) ungefähr soviel zu tun haben wie ich mit dem für sie zuständigen Imam. Nix.
Ich habe etwas gegen militante Religiosität, egal von welcher Seite. Und doch waren meine Gefühle nach der besagten Messfeier alles andere als friedfertig. Klar, ich wollte niemandem an’s Leder. Aber ich habe mich tierisch geärgert. Und weil ich schnell marschiere, wenn ich sauer bin, kam ich in Rekordzeit zum Alex, vorbei an einem „Weihnachtsmarkt“ der für meinen Geschmack übelsten Ausprägung. Diese Art von Gewerbe ist für mich mit dem christlichen Hochfest so eng verbunden wie die gerade erwähnten Berliner Schwurgenossen mit dem Papst in Rom. – O, ich schreibe mich in Rage. Ruhig, Brauner! (Wer weiß, wie das Zitat weitergeht? 😉 )

Der ursprüngliche Groll entsprang einer Impression, die unmittelbar nach der Gaudete-Messe entstanden war.
Dass wir uns mit dem Gottesdienst so kurz gefasst hatten, hing mit einem Konzert zusammen, das direkt im Anschluss stattfinden sollte: Jazz before Christmas. – Nun habe ich nichts dagegen, wenn kirchliche Räume freien Kunst-Projekten offenstehen. Und es muss nicht gleich auf Mission hinauslaufen, wiewohl diese Sendung meines Erachtens die für uns Christen wichtigste ist, sehr, sehr breit verstanden. Und Dialog, gerade mit Widerstreitenden, ist bei dieser Sendung ein erster Schritt mit eigenem Wert. Solange, und das ist jetzt mein Kritikpunkt, die Positionen klar sichtbar bleiben.

Ich muss meinem Gesprächspartner meine Haltung, meinen Glauben nicht aufzwängen, das dürfte praktisch immer der Sendung widersprechen. Aber dem Andersmeinenden gegenüber meine eigene Praxis komplett zu negieren, das muss schon ganz großes Kino sein, wenn daraus etwas Gutes werden soll. Ich bin bei einem Jesuiten in die Schule gegangen, über ein Vierteljahrhundert lang. In dieser Zeit habe ich erlebt, wie Offenheit gegenüber Andersdenkenden und erklärten Gegnern aussehen kann, inklusive Rückstellung eigener Eigenschaften und Ansichten. Aber es wäre meinem Lehrer Richard Loftus SJ nie in den Sinn gekommen, den Herrn, also Jesus von Nazareth, als Gesalbten, als Christus, zur Dispostion zu stellen.

Ich erinnere mich sehr gut an einen Rundbrief, den Vater Loftus einmal an seine Freunde und Schüler geschickt hat. Darin regte er sich über einen spirituellen Lehrer, einen christlichen Mönch, auf, der den Zen-Buddhismus in einer Weise verinnerlicht (ok) und interpretiert (nicht ok) hatte, dass Gott darin zu einem gleichgültigen, willkürlich handelnden Wesen wurde. „It makes me furious“ schrieb Vater Loftus. Und meinte damit nicht die aus seiner Sicht lupenreine Geistesverwirrung des Mönchs, sondern das Fakt, dass besagter Mann seine Position als christlichen (!) Glauben verbreitete. Ich konnte meinen Freund so gut verstehen.
Und jetzt war ich dran mit to get furious. Kaum leerten sich die eher schwach besetzten Kirchenbänke, drängten von außen wahre Heerscharen herein. Schließlich musste man sich die besten Plätze sichern! Die Instrumente der Jazz-Musiker waren direkt vor dem Tabernakel aufgestellt. Das Mischpult stand neben ebendiesem, vor der brennenden Osterkerze.

Beim Eintreten wurden die Konzertgäste von Patres begrüßt. In Zivil. Ich habe niemanden gesehen, der das Allerheiligste in irgendeiner Weise gegrüßt hätte. Aber ich habe nur zwei Augen, möchte also meine Wahrnehmung nicht absolut setzen. Auf meine Stimmung wirkte sich ebendiese Wahrnehmung aber dennoch aus. Mein – wie gesagt nicht vollkommen friedfertiger – Gedanke, war: Wenn Messe und Konzert so eng zusammengelegt wurden, kann das als Versuch verstanden werden, Außenstehende in ungezwungenen Kontakt zum Spirituellen einzuladen. Sollte es hier so gewesen sein, war das Vorhaben komplett gescheitert und, was schlimmer ist, von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Denn dann hätte man schon eine andere Performance hinlegen müssen. Beim Begrüßen, meine ich.
Oder aber, und das ist immer noch meine Befürchtung, man hat sich hier einer Vorgabe gebeugt, die anderswo schon länger dominiert. Zugespitzt geht sie so: Wenn ihr als Gläubige (ach, ihr armen Deppen) eure Begegnungs- und Feierräume weiter nutzen wollt, müsst ihr sie in der übrigen Zeit uns, den Vernünftigen, uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Wir machen die Regeln und ihr habt euch gegebenenfalls einzuschränken.

Die bitteren Früchte dieser Haltung konnte ich schon mehrfach beobachten: In Frankreich, in der Ukraine, in Trier. Und zugegeben, wenn ich an diese Eindrücke denken, mutiere ich. Nein, nicht zum Kreuzritter. Aber für Don Camillo mit seinem Prügelstock entwickle ich da eine bestimmte Sympathie. „…Er ist auch ganz weich, Herr.“

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