Mein Nachruf auf den am Sonntag vor dem Erscheinungsfest verstorbenen Freund und Kollegen Georg Walser.
Mein Freund Georg wusste, dass er einen Feind hatte. Der saß in seinem Körper und griff gerade zum zweiten Mal an, als ich Georg kennenlernte.
Ich bewunderte die Kraft und den Willen Georgs, mit dem er sich 2001 auf den Kampf mit dem Krebs einließ. Obwohl dieser Kampf mit großen Opfern und Verlusten einhergehen würde. Am Anfang stand eine rabiate Chemo-Therapie. Als ich Georg im Krankenhaus besuchte, staunte er über meinen souveränen Umgang mit krankenpflegerischen Hilfsmitteln und Handlungsweisen. Nun, die hatte ich Mitte der 90er Jahre gelernt. In einem Caritas-Krankenhaus der Stadt, in der Georg und ich beide studiert hatten, wenn auch nicht gleichzeitig und in je eigenen Studiengängen. Wir liefen uns nie über den Weg, hatten aber gemeinsame Weggefährten.
Was ich damals nicht gelernt hatte und bis heute nicht wirklich beherrsche, konnte Georg: Kämpfen. Mit voller Überzeugung und Siegesgewissheit. Ich erfuhr zwei Tage nach Georgs letztem Kampf, dass er diesen verloren hatte.
Mein Freund war ein gläubiger und diesen Glauben deutlich bekennender Christ. Ich glaube fest, dass wir Zurückbleibende uns um ihn keine Sorgen machen müssen.
Aber Abschiedsschmerz bleibt Abschiedsschmerz. Vor allem für seine Familie, der Georg am häufigsten und meisten fehlen wird. Als ich am Abend des Samstags, an dem Georg begraben wurde, die Orgel in der St. Anna-Kirche in Berlin Baumschulenweg spielte, dachte ich in erster Linie an die Witwe, die ich vor fast 20 Jahren flüchtig kennenlernte. Wie musste sie sich jetzt fühlen? Wie ist es, wenn ein geliebter Mensch nicht nur endgültig weg ist, sondern man selbst gesehen hat, dass eine Wiederkehr absolut unmöglich ist? Aus dem Grab kommt niemand zurück.
Vor vielen Jahren, noch in Oberbayern und lange, bevor ich Georg kennenlernte, bekam ich einen allerersten Eindruck von so einem Abschied – aus der Betrachter-Perspektive.
Ich war der Dorfkirchen-Organist und ging wie immer vor der Vorabendmesse kurz in die Sakristei. Zufällig fiel mein Blick da auf den Vermeldungszettel und ich erstarrte. Da stand, dass ein Bekannter just morgens tödlich verunglückt war. Ein anderes Auto hatte ihm die Vorfahrt genommen, war auf der Fahrerseite in die Seitentür gekracht und K. war sofort tot. Das stand natürlich nicht auf dem Zettel, die Witwe hat es mir später erzählt.
Die Witwe kannte ich gut. Mit ihr musizierte ich öfters zusammen, sie an der Querflöte, ich an der Orgel. Zum ersten Mal bei der Taufe des jüngsten der drei Kinder. Bei dieser Gelegenheit hatte ich den jetzt Verstorbenen auch kennengelernt und dieses Kennenlernen lag kaum zwei Jahre zurück.
Beide Eheleute waren tiefgläubig. Das änderte nichts daran, dass meine Flötistin von einer Stunde auf die andere alleine dastand, mit drei kleinen Kindern, denen sie erklären musste, dass sie ihren Papa nie wieder sehen, nie wieder hören oder anfassen könnten.
Ich weiß nicht, wie M. damals diese Herausforderung gemeistert hat. Nur dass sie es irgendwie geschafft hat, weiß ich. Und bis heute beeindruckt mich, was sie damals uns schrieb, die sich bei ihr persönlich gemeldet hatten:
Danke allen, die bereit sind,
mit mir die Hoffnung auf die Auferstehung
zu wagen.
Hoffnung wagen zu können, das wünsche ich Georgs Lieben von ganzem Herzen. Vielleicht dabei auch unerwartete Hilfestellung zu bekommen. Denn ich glaube daran, dass wir unseren in das ewige Leben vorangegangenen geliebten Menschen nicht egal sind. Und Gott erst recht nicht.
Als K. damals beerdigt wurde, hatten Freunde eine Arie aus Händels „Messias“ ausgesucht, die dann von einer Sopranistin gesungen und auf der Querflöte begleitet wurde: „Wenn Gott ist für uns, wer sollte uns schaden?“
Mein Freund Georg hatte Ahnung von Kirchenmusik. So klärte er mich darüber auf, dass meine Begeisterung für die St. Hedwig-Kathedrale mit der Orgelbaufirma Klais zusammenhängen dürfte. Er hatte Recht, ich liebe Klais-Orgeln. Am Tag von Georgs Beerdigung spielte ich morgens ein Instrument, das die in Bonn ansässige Firma kurz nach dem Krieg in Berlin Weißensee gebaut hatte.
Vor der 9 Uhr-Messe nahm ich, an meinen Freund denkend, ein Stück auf. Leider bin ich da nicht auf die Händel-Arie gekommen. Das von mir gewählte Lied ging und geht mir zwar sehr zu Herzen, leider darf ich es aber nicht veröffentlichen.
Heute, am Fest-Sonntag „Taufe des Herrn“, besuchte ich erstmals den Gottesdienst in einer Kirche, zu der Georg ein besonderes und herzliches Verhältnis hatte: Regina Martyrum. Wie gerne wäre ich hier mit Georg einmal in eine Messe gegangen. Wir hätten der dortigen Klais-Orgel gelauscht, hätten gemeinsam gesungen und gebetet.
Jetzt werde ich jedenfalls immer an Georg denken, wenn ich hier bin oder an irgendeiner Klais-Orgel spiele.
Weil ich letzteres erst in vier Wochen wieder tue, habe ich gerade spontan eine Klavier-Improvisation über „Wenn Gott ist für uns“ eingespielt. Für Georg. Und allen gewidmet, die um ihn trauern.