So haben wir es in Odessa gemacht

Und noch konsequenter 2019 in Malmö. #CoViD19, go to hell.

Nun schweige, wem Gesang gegeben. – So könnten wir jetzt sagen, nachdem der Generalvikar des Erzbistums Berlin das Singen bei Gottesdiensten untersagt hat. So rau die Ansage zunächst erscheint, so gut begründet ist sie auch. Und es gibt Schlimmeres als gesanglose Messfeiern.

Meine erste Gemeindemesse ohne jede Musik erlebte ich 2019 in Malmö. Im Sommer, als auch für die strengsten römischen Katholiken weit und breit keine Bußzeit in Sichtweite lag. (Unsere russisch-orthodoxen Glaubensgeschwister konnten sich dagegen auf einen kleinen Sommer-пост freuen. 😉 )

In der russischen Ostkirche gibt es vier Fastenzeiten pro Jahr, anders als bei uns westkirchlichen Schlappis mit unseren zweien. – In denen wir Kirchenmusiker uns etwas zurückhalten sollen. In der russischen Kirche gibt es zwar Kirchenmusiker, aber weder Orgelton noch Gemeindegesang, abgesehen vom gesungenen „Vater Unser“.
Anno 2019 wurde bei den Malmöer Katholiken nicht einmal das gesungen. Auch nicht das Sanctus, das seinen gesanglichen Charakter nicht verleugnen kann, vielmehr per Textinhalt betont: Zusammen mit den Himmlischen Heerscharen singt die gläubige Gemeinde das „Heilig, heilig, heilig“. In Malmö sprach sie es. Tapfer.

Der Grund in der Vår Frälsares församling für die tonlose Messfeier war kein Virus, keine spirituelle Vorgabe der hier dominierenden Opus Dei-Geistlichen, keine (Un-)Lust und Laune.
Nein, die komplette Kirchenmusik und der nicht-priesterliche Gemeindevorstand waren auf einem Ausflug. Da es sich um eine Vorabendmesse handelte, die Gläubigen nicht gerade zahlreich gekommen waren und sich unter ihnen nur vereinzelt Schweden befanden, lag das Gebet nach bereitgestelltem Heftchen nahe. Dazu muss man wissen, dass in dieser Gemeinde nicht wenige Gläubige des Schwedischen nicht fließend mächtig sind, die Gebetstexte inklusive der Fürbitten stehen in einem Faltblatt. So habe ich es jedenfalls zweimal erlebt.

Ein Vierteljahrhundert früher erlebte ich eine andere, aber damals für mich nicht minder ungewohnte Gottesdienstform.
Ich war ehrenamtlicher Caritas-Mitarbeiter in der römisch-katholischen Gemeinde „Marien Entschlafen“ (успение пресв. б. Марии). Und jeden Sonntag in der zweiten Messe. Das war die russischsprachige.
Es gab keine Orgel. Das heißt, das Instrument gab es schon. Aber die Organistin war krank. Was sie nicht davon abhielt, mich davon abzuhalten, die Orgel zu spielen. Niemand außer ihr sollte das machen.
Wo Orgelklang und Gesangbücher fehlen, hat es Gemeindegesang schwer. Ab und zu kam es trotzdem zu Liederschall. Dank Sr. Elisabeta, einer jungen polnischen Salesianerin, die vorzüglich mit der Gitarre und jungen Leuten umgehen konnte. Sie war mit der Seelsorge für ausländische Studierende beauftragt. Ich erinnere mich bis heute sehr genau (und sehr gerne) an einen Weg zum Wohnheim №4, den ich mit ihr teilen durfte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sr. Elisabeta SDB (1995)

Sr. Elisabeta (1995)

Sr. Elisabeta hatte jedenfalls einen Hang zur modernen Kirchenmusik. Wahrscheinlich hätte sie auch die Orgel gerockt, aber sie ordnete sich der chronisch kranken Organistin unter. Wie auch einer anderen älteren Dame, die bei den polnischsprachigen Messen knallhart alle Strophen der klassischen Kirchenlieder durchsang. Alle. Auch die, die nicht auf dem Liedblatt standen, aus dem Sr. Elisabeta und ihre Mitschwestern sangen. Die Solistin war nicht mit der Organistin identisch, es war sozusagen eine kirchenmusikalische Doppelspitze, von der nur ein Part zu hören war.

Ein Modell für uns deutsche Katholiken zu Zeiten von #CoViD19? – Eher nicht. Denn problematisch ist nicht die Luft, die aus Orgelpfeifen kommt, sondern der Hauch unseres Mundes. Der, wie ein Kollege heute Morgen zu Recht bemerkte, auch beim mundbewegten Gebet den Nachbarn mit Viren versehen kann. Tröpfcheninfektion ist Tröpfcheninfektion, und die kommt sogar mit einfachem Atmen aus.

Also Komplettverzicht auf Gemeindefeiern, oder? Einige Bistümer ziehen das schon durch, etwa das Erzbistum München, in dem ich fast 30 Jahre gelebt habe und für das ich nach wie vor aus der Ferne arbeite. Oder Hamburg, wo ich Verwandtschaft habe. Die überwiegend protestantisch ist, aber auch die evangelische Michaelis-Gemeinde setzt ihre Gottesdienste vorläufig aus. (Stand vom 14.3.2020, 12 Uhr)

Heute Abend wäre ich normalerweise in meiner nächstgelegenen Kirche, das heißt in St. Anna (Berlin Baumschulenweg). Wenn die Messfeier nicht abgesagt wird oder man mich abbestellt, werde ich an die Sakristeitür klopfen und mich gegebenfalls per Schleichweg auf die Orgelempore begeben. Damit die Orgel die stumme Gemeinde nicht ganz tonlos lässt.
So oder so startet am 3. Fastensonntag 2020 mein Podcast O-Ton Berlin. Hier auf blog.lautwert.de. Stay tuned. Und singt. Denn auch wenn man’s alleine macht, stärkt es die Abwehr. Macht sie fertig, die Viren. Let’s get loud, folks.
#primal #uggah

1 Gedanke zu „So haben wir es in Odessa gemacht

  1. Ein sehr schöner Artikel. In der „ZEIT“ habe ich gerade gelesen, daß gerade die Musik zu den Vorteilen des Menschen gehört gegenüber den Maschinen (Robotern), die immer mehr weite Teile der Berufswelt erobern werden. Die Schulen sollten da frühzeitig steuern, doch es fehlen 23.000 ausgebildete Musikpädagogen und jede zweite Musikstunde wird in den Schulen anders genutzt. Ich möchte dazu sagen: „Hasse noch Töne?“

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