Sehnsucht nach dem lauten Jubel

Wisst Ihr noch? Im Frühling 2020 brach fast alles weg, was unser Dasein schöner machte. Auch manches, dem wir das gar nicht zutrauten. Ich wusste schon sehr früh, dass mir eine Kirche besonders fehlen würde.

Nämlich die Kirche im St. Joseph-Krankenhaus Weißensee. Samt dazugehöriger Gemeinde und wunderschöner Klais-Orgel. Als ob der Abschied ohne Corona nicht schon schwer genug gewesen wäre.

Ein Abschied auf Raten deutete sich nämlich schon im Januar 2020 an. Da war das neuartige Corona-Virus SARS CoV2 zwar schon aufgetaucht. Aber als Laie hielt ich es für einen weit entfernt wirkenden Erreger, der noch nicht einmal besonders schlimm wäre. Tja, Laien-Urteil. (Es wäre so gut, wenn ein paar lautstarke Hobby-Virologen sich einfach mal klar darüber würden, dass sie keine Ahnung haben und dass das wirklich keine Schande ist.)

In einer Krankenhauskirche wusste ich mich bei Leuten vom Fach. Die sahen im Januar auch noch keine Gefahr im Verzug – oder sagten es mir jedenfalls nicht.
Die Sorgen des Kabinen- äh… Sakristei-Personals rührten von einer anderen Ursache als Virenlast her. Priestermangel. Ganz einfach. Der einzige katholische Geistliche, den das Alexianer-Krankenhaus Weißensee damals noch im Hause hatte, nahm zwar an jeder Messe als Zelebrant teil. Das aber vom Rollstuhl in der ersten Reihe aus. Den handgreiflichen und akustisch wahrnehmbaren liturgischen Dienst hätte er nicht mehr ausführen können.

Glücklicherweise standen Herz Jesu-Priester zur Verfügung, um die Heilige Messe zu feiern. Aber auch deren Kreis wurde kleiner.
Ich erinner mich plastisch an ein Gespräch in der Sakristei, eine Woche nachdem ein Gottesdienst wegen fehlender priesterlicher Leitung abgesagt worden war. Die wahrhaft altgediente Schwester (ich habe mich nie getraut, sie nach ihrem Alter zu fragen) hatte ich schnell ins Herz geschlossen und freute mich immer wie ein Schneekönig auf unsere Treffen vor der Messfeier. Die immer am Samstag-Morgen stattfanden. Wenn die kleinen Hipster schlafen. 😉
Ich freute mich unter anderem deswegen auf diese Pre-Show-Begegnungen, weil mich die unglaubliche Energie der alten Frau faszinierte. In jeder kleinen Bewegung zeigte sich eine in Jahrzehnten gepflegte und bewährte Kraft, die jeden Bodybuilder neidisch gemacht hätte. Nicht wegen etwaiger Muskelpakete, nee, die hätten nicht zur Statur der Schwester gepasst. Aber dass wirkliche Power von innen kommt, konnte man hier sehen. Und meistens war auch die Stimmung so, trotz aller Gemütslasten, die in einem psychiatrischen Krankenhaus mutmaßlich besonders heftig anfallen. Ja, die Schwester trainierte Hantel-Heben mit Gesichtsmuskeln, the only way is up.

Nicht so an jenem Samstag. „Was wir letzte Woche erlebten, das werden wir jetzt immer öfter haben: Kein Priester.“ – Immerhin, statt jetzt in ein Lamento zu verfallen, richtete die Schwester ihren Blick nach oben, auf eine Stelle hoch über ihrem Kopf. Ein Kipp-Fenster war zu und sollte doch offen sein. Dank meiner nicht unbeträchtlichen Bau-Höhe konnte ich dieses Problem ohne Leiter lösen. Und einen Priester hatten wir ja. Da kam er auch schon, eher klein gewachsen, aber definitiv ein starker Prediger. (Er leitet jetzt ein Internat in Polen. Nicht nur für die Weißenseer Krankenhauskirche ein Verlust.)

Pater Richard ist nicht nur ein sehr guter Prediger, sondern auch ein toller Sänger! So manches Mal riss er die kleine aber grundsätzlich sehr sangesfreudige Gemeinde mit, wenn meine Lied-Auswahl wieder einmal im Unbekannten gebohrt hatte. Und dann gab es da ja noch den Wilden Bruder. (Mehr zu ihm inklusive eindrucksvoller Hörprobe im Blog-Beitrag „Pilger 2.0“)
Ob er wohl noch singt, wenn ich wieder an dem geliebten Instrument spielen darf? Wenn ich denn noch einmal spielen darf, denn auch wenn die Pandemie vorbei ist, heißt das ja noch nicht, dass man mich in Weißensee haben möchte. An einem anderen Einsatzort, der vom selben Orga-Team wie die Krankenhaus-Kirche betreut wird, will man mich offensichtlich nicht mehr. Und zum Thema Nutzung von Kapellen in nicht mehr kircheneigenen Einrichtungen werde ich demnächst einen bitteren Artikel schreiben – müssen. Ich freue mich wirklich nicht darauf.

Aber vielleicht kommt ja auch alles ganz anders? Vielleicht lebt nach den ganzen Einschränkungen, dem Mischmasch aus sinnvollen und hirnrissigen Maßnahmen, Seelennöten von Seelsorgern und weltlichem Orga-Chaos (Stichwort Impfzentren), kurzum: lebt nach der Krise vieles Totgesagte wieder auf. Vielleicht bricht sich Gottes Logik (ein Lieblingsausdruck meines Lehrers Richard Loftus SJ) offen Bahn. Nach dieser Logik tritt genau das ein, mit dem niemand rechnet und auch nicht rechnen kann. Konkret: Wir haben Schlimmes durchlebt – Gloria gefällig?

Ich hätte schon mal eines zum Warmwerden. Die Aufnahme stammt aus dem letzten Vor-Corona-Sommer, aus dem Juli 2019. Da gab es sogar noch genügend Priester für die Krankenhaus-Gemeinde. Goldene Zeiten, auch wenn sie mindestens mir nicht jeden Tag gleich golden vorkamen. So wie das Gotteslob-Lied Nummer 167, das eigentlich nicht zu meinen Favoriten gehört. Aber meine Güte, so wie es hier gesungen wird, möchte ich es wieder hören! Und es könnte passieren, dass ich beim Mitsingen die Klais-Orgel übertöne. Während sie anders als gleich zu hören, alles gibt, Tutti spielt. Captain Picard, ihr Einsatz! Na, wie geht der, Treckies? Richtig – Energie! Na denn…

2 Gedanken zu „Sehnsucht nach dem lauten Jubel

    1. Danke für die Aufmunterung. Ich habe sie bitter nötig – nachdem täglich rund ein Dutzend „Kommentare“ reinkommen, die aber ausschließlich Betrugsversuche sind. Ausschließlich! Die Zugriffe auf Artikel, die mir besonders wichtig sind, gehen gegen Null, wie im jüngsten Beitrag gesagt.
      Schöne Grüße vom Redaktions-Tisch, an dem ich gerade etwas schreibe, wonach jenseits des Blogs vielfach Bedarf bekundet wird. Etwas, das den Laut jetzt also wert ist.

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