Aber nächstes Jahr?

Ich will niemandem etwas weg nehmen. Am wenigsten die #Hoffnung.

Mich als Optimisten zu bezeichnen, wäre voll daneben. Ich sehe und bezeichne mich gerne als hoffnungsfrohen Realisten. Nach dem Motto: Die meisten Probleme sind zum Lösen da. Und bei den übrigen bleibt die Hoffnung auf Den, der damit gut und endgültig fertig wird. An den ich glaube. Zum Realismus gehört, dass ich mich mit diesem Vertrauen in einer Minderheit weiß, womöglich sogar in einer schrumpfenden.

Wir haben Ostern 2021, das zweite Mal das höchste Fest der römischen und orthodoxen Christenheit im Pandemie-Modus. Die Orthodoxie muss wegen ihres julianischen Kalenders noch etwas warten und unsere protestantischen Geschwister gewichten die Erlösungsakte unseres gemeinsamen Herren etwas anders, aber in einem ist sich die ganze Christenheit des Erdkreises einig: Christus ist auferstanden, in Wahrheit auferstanden! Halleluja!

In der vergangenen Karwoche, die so ganz anders verlief als alle vorausgegangenen, musste ich häufig an diejenige denken, die ich 1995 erlebte. (Die Karwoche 2020 lasse ich heute mal bewusst außen vor. Sie verdient ein paar Jahre Abstand.)

Damals, mitten in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, verbrachte ich die Heilige Woche samt Osterfest am Ort des Geschehens. In Jeruschalajim. Wie es dazu kam und was sich da alles ereignete, das ist genug für ein ganzes Buch. Für mein Blog soll für diesmal eine Begebenheit genügen.

Und zwar die vom damaligen Karfreitag.

Zuletzt versuchte ich meinem Vater zu verdeutlichen, dass die Zeit mindestens zwischen dem Donnerstag der Heiligen Woche und dem Emmaus-Tag ein einziger durchgehender Zusammenhang ist. Für Menschen, die lange vor dem zweiten Vaticanum kirchlich sozialisiert sind, als Messdiener aktiv waren und insgesamt eher volksfromm erzogen wurden, eine wahrhaft harte Nuss. „Für mich bleibt Ostern der Feiertag!“ bekam ich erwartungsgemäß zu hören. Stimmt ja auch. Nur dass die schweren Tage vorher unauflöslich dazugehören. 😉

Ich durfte vor einem Vierteljahrhundert mit dem Lernen dieser Lektion anfangen. Der Hohe Donnerstag, im deutschen katholischen Volksmund auch Gründonnerstag genannt, machte zwar tiefen Eindruck, soll hier aber außen vor bleiben. Nur so viel: Ich machte mutmaßlich Bekanntschaft mit dem Bach Kidron und auf jeden Fall mit dem Garten Gethsemane. Rein kam ich nicht, die Orthodoxie hielt mich per Zaun draußen.

Am Karfreitag durfte ich die ebenfalls orthodox „regierte“ Grabeskirche betreten. Zusammen mit der ganzen Kreuzweg-Prozession. Damals fanden mindestens während der westkirchlichen Karwoche und der 1995 daran anschließenden orthodoxen letzten Woche des Velikij Post (Großes Fasten) jeden Tag mehrere Prozessionen statt. Viele davon waren dramatischer – mit ausgewähltem Kreuzbalken-Träger etwa, Geißeln und so. Bei der offiziellen römisch-katholischen Prozession zur Original-Uhrzeit war nur das Volksaufkommen dramatisch, sogar für mich mit 1,93 m Bauhöhe nicht zu überschauen. Einblicke in Schauplätze waren so nicht drin. Ein Bild hat sich mir aber eingebrannt. Zum ersten und bisher einzigen Mal in meinem Leben sah ich blanken Hass. Der unter anderem gegen mich gerichtet war.
Unweit der Grabeskirche mündete eine schmale Gasse auf den Prozessionsweg. In der Gasse drängten sich, der Sprache und Kleidung nach muslimische, Demonstranten. Die schwangen teilweise Knüppel, brüllten aber vor allem. Und ein brüllender junger Mann blickte mich direkt an. Blanker Hass. Da lernte ich, dass es so etwas wirklich gibt. Ich zog und ziehe keine Verbindungslinie zwischen diesem buchstäblichen Augen-Blick und dem uns Christen aus der Passion bekannten „Kreuzige ihn!“. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Ruf der Menge damals aus dem selben (nicht gleichen!) Geist hervorging wie die Wut der Anti-Kreuzweg-Demonstranten. Dass ich den israelischen Soldaten zutiefst dankbar war, die uns vor den Knüppelschwingern wirksam beschützten, verursacht mir immer noch Magenbrummen. Ich war, bin und bleibe hoffentlich Pazifist durch und durch. Bei einer anderen Gelegenheit erlebte ich einen Militär-Einsatz, bei dem Angehörige der israelischen Armee eindeutig den Part der „bad guys“ übernahmen. Reichlich dramatisch, aber ohne wirkliche Gewalt. Als gleichwohl durchaus handgreiflich agierende Gegner agierten ein paar Franziskaner-Mönche. Ohne Bud Spencer in Kutte. Und im Mittelpunkt des Geschehens eine junge orthodoxe Nonne, die wegen der Absperrung zu spät zum Gottesdienst zu kommen drohte. Ging gut aus, der israelische Offizier erwies sich als Profi mit Augenmaß und wohl auch Erfahrung.

Ob er ein Verständnis für Religiöses hatte? Oder die Soldaten (ich sah bei diesem Einsatz nur Männer), die die Kreuzweg-Prozession schützten? – So oder so, das Heilige Land erwies sich als unerlöst von Gewalt, Feindseligkeit und Ignoranz. Ich gehe davon aus, dass sich daran seit 1995 nicht viel zum Besseren gewandelt hat.

Und dann auch noch die Pandemie, die gerade in Israel ein sehr eigenwilliges Bild abgibt. Auf der einen Seite eine bewundernswerte Impfstrategie, auf der Gegenseite tief gläubige Maßnahmen- und Impf-Verweigerer, deren Argumente durchaus ernst zu nehmen sind. Dazwischen verschiedene Spielarten politischer und sozialer Willkür. Definitiv kein Problem nur dieses Staates, nicht dass hier Beifall von falschen Seiten kommt. Ich will nur sagen: Ob religiös, agnostisch oder atheistisch, ob heute oder im vorigen Jahrtausend, ob politisch links, rechts oder mittendrein zwetschge – das Gelobte Land unterscheidet sich nicht wesentlich vom Rest der Welt.

Und trotzdem, da gibt es diesen traditionellen Wunsch, der unter anderem den Titel eines schönen Romans abgegeben hat: Nächstes Jahr in Jerusalem!

Als ich damals dort Ostern feierte, war ich mir sicher, wenigstens in absehbarer Zeit kein weiteres Auferstehungsfest am Ort des Geschehens zu erleben. Wie gesagt, die Eindrücke reichen locker, um einen 200-Seiten-Wälzer darüber zu schreiben. Enttäuschung sieht wirklich anders aus, ganz anders.

Was mit dem zitierten Wunsch unter anderem auch gemeint sein könnte, gibt ihm aber eine neue Bedeutung, jedenfalls für mich.
Ich meine zu wissen, dass mit Jerusalem nicht nur der Ort an sich gemeint ist. Sondern eine Gemeinschaft, die endlich von allem Schlimmen, von allem unüberbrückbar Trennenden (das deutsche Wort „Sünde“ ist mit „Ab-Sondern“ verwandt) befreit ist. Eine lebendige Gemeinschaft. Um dazu zu werden, müssen… nein, sollten wir uns darüber verständigen, wie wir die durch die nötige Pandemie-Bekämpfung zur Normalität gewordenen Abstände wieder weg bekommen. Ohne uns gegenseitig dem Friedhof näher zu bringen. So ein bisschen Leben üben, ein Hauch von Auferstehung. Und wer weiß – vielleicht sehen wir uns dann wirklich einmal im himmlischen Jerusalem. With a little help from our friend. The risen one. Denn ja, Er ist auferstanden, in Wahrheit auferstanden. Halleluja.

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