Am weißen Sonntag ist die Berliner Natur voll und ganz auf Frühling gebürstet, trotz Corona. Zur Feier des Tages ein paar Gedanken und ein paar Takte Musik.
Wer nicht römisch-katholisch sozialisiert ist, kann mit dem traditionellen Namen des ersten Sonntags nach Ostern nichts anfangen. Weißer Sonntag – was soll das sein?
Sogar Katholiken von altem Schrot und Korn deuten den Namen gerne falsch. Die weiblichen Gläubigen erinnern sich, dass sie an diesem Sonntag ein weißes Kleid trugen. Wie das damals zur Erstkommunion üblich war. Wehe, da wäre jemand in Zivil erschienen!
Meine eigene Erstkommunion war immerhin schon deutlich nach dem Zweiten Vaticanum. Und weiblich bin ich auch nicht. Trotzdem: Über meine Kleidung entschied nicht ich, sondern… ja, wer eigentlich?
Meine Mama war und ist nicht allzu religiös. Sie kommt da ganz auf ihren Vater, der sich zeitlebens als Freigeist bezeichnete. Nicht atheistisch, nicht einmal agnostisch, aber der Pfarrer sollte ihm gefälligst auf Augenhöhe begegnen. Oder gar nicht. Mein Opa Hermann sollte später mein Firmpate werden und ich kann mich erinnern, dass ihm das eigentlich gar nicht passte. So wenig wie mir mein Erstkommunion-Dress.
Mag sein, dass dessen Kleidergröße buchstäblich angemessen war. Aber für mich bleibt die Erinnerung, dass ich zum ersten Mal im Leben eine Krawatte tragen sollte. Eine Krawatte! Pfui Spinne. (Es sollten rund 20 Jahre vergehen, bevor ich zum zweiten und bis dato letzten Mal in diese Verlegenheit kam, aber das ist eine ganz andere Geschichte.)
Es gibt ein Foto von mir, das am Tag der Erstkommunion aufgenommen wurde. Mein Gesichtsausdruck spricht Bände.
Dabei verbinde ich sonst mit jenem Weißen Sonntag im Grunde nur Schönes oder wenigstens Lustiges. Die spirituelle Erfahrung war dicht und hat noch nicht aufgehört, mich zu prägen. Als ich heute Morgen die Orgel in St. Richard Berlin Rixdorf spielte, legte ich großen Wert darauf, zur Kommunion zu gehen. Schon weil ich dieses wie letztes Jahr das mir persönlich wichtigste Fest nicht feiern konnte: Die Einsetzung am Hohen Donnerstag, auch Heiliges Abendmahl genannt.
Kurz zur Erklärung für die nicht-christlichen Leser*innen: Am Abend des Donnerstags vor Ostern feiern wir Christgläubige das Mahl, das Jesus unmittelbar vor seiner Folter und Hinrichtung mit seinen Freundinnen und Freunden gehalten hat. Dabei bekamen diese den Auftrag, diese Feier immer wieder zu wiederholen. So weit sind sich alle Christ*innen einig, egal, zu welcher kirchlichen Richtung sie gehören. Wir römischen Katholik*innen und die orthodoxen Gemeinschaften glauben, dass Jesus bei diesen Feiern leibhaft dabei ist. Zugegeben ein dickes Brett, aber hej, wir schaffen das. 😉
Die allerschönste Kommunionfeier hatte ich in den Nullerjahren in einer kleinen Kirche in München. Die vergesse ich garantiert nie, kein Detail.
Manche Details meiner Erstkommunion sind mir entfallen. Andere nicht. Zum Beispiel, dass mein strenggläubiger Opa väterlicherseits meinen ältestesten Vetter darauf hinwies, dass an diesem Tag nicht er die erste Geige spiele. „Das ist Thorstens Tag heute.“ Vergleichbares habe ich aus dem Mund meines Orgel-spielenden Großvaters nie wieder gehört. Er konnte nicht gut mit Kindern.
Was mir auch in Erinnerung blieb, war ein bestimmtes Geschenk: Eine Geldkassette. Die nahm mir mein eigener Vater ruck-zuck weg. Mit Hinweis auf eine Familientradition. So sei es ihm bei seiner Erstkommunion auch gegangen. Sein Vater (also mein gerade erwähnter Opa, damals anwesend) habe ihm seine erste Geldkassette mit der Begründung abgenommen, dass er, ein kleiner Junge, mit geschäftlichen Gegenständen noch nichts anfangen könne. – Vielleicht sollte ich dabeisagen, dass mein Papa gelernter Kaufmann ist, woll? – Die Schatulle musste übrigens fast vierzig Jahre später gegen Gebühr aufgebrochen werden. Im Laufe der Jahre hatten sich wichtige Unterlagen darin gesammelt, der Schlüssel ging aber verloren. Eine späte Strafe für den Geschenke-Dieb, harrrr…
Andere Erstkommunion-Geschenke habe ich teilweise bis heute in meinen vier Wänden. Obwohl ich mich dem Jungkapitalisten-Sog meiner Klassenkameraden nicht ganz entziehen konnte, freute ich mich doch über sie: Gotteslob und Bibel waren, sind und bleiben in Reichweite. Zum Einsatz kommen heute neuere Ausgaben beider Bücher. Aber ich möchte die alten Originale nicht missen. Da hängen einfach Erinnerungen dran.
Was ist wohl aus dem schwarzen Anzug und der Krawatte geworden? Ich gehe davon aus, dass sie irgendwann in die Altkleidersammlung gekommen sind. Vielleicht hat sie mein jüngerer Bruder noch einmal aufgetragen? Who cares. Es war nur Stoff. Und nicht einmal farbenprächtiger.
Die Farben des Osterfestes sind – nein, nicht Reste vom Ostereier-Färben! Weiß und gelb, so sieht die Fahne aus, die an hohen kirchlichen Festtagen von Kirchtürmen und aus dem einen oder anderen Fenster herunterhängt. Oder im Wind weht, was viel besser aussieht.
Als ich meinen Sonntagsspaziergang machte (statt Flanier-Wanderung nach Mitte, was ich soooo gerne wieder machen würde, verlixte Pandemie), sah ich diese Natur-Banner im Frühlingswind wehen und mir wurde für einen kurzen Augenblick ganz feierlich zumute. Nein, nicht wegen der Farben. Die Schilfblätter sind mutmaßlich mausetot, toter als jeder Fahnenstoff. Aber lebendiger als so manche Tradition. Da sorgt der Wind für, der sich wie der schöne blaue Himmel kein bisschen um überkommene Vorgaben und Zwänge schert. So wie ich das damals gerne mit der Krawatte getan hätte. Uj, hätte die schön geflattert.Die Gemeinschaft mit dem lebendigen Herrn – das hat so gar nichts mit Maßband, gesponnenen Fasern und Geldgeschenken zu tun. Glaube und fühle ich. Als Kirchenmusiker weiß ich mich aber auch Menschen verpflichtet, denen ein altes Gedanken- und Regel-Gerüst Halt gibt. Es gibt Lieder, deren Text mich gruseln macht. Gestern Abend in St. Anna und heute Morgen in St. Richard durfte ich die Lieder selbst aussuchen. Ich wählte für beide Gottesdienste bekannte Oster-Lieder aus, mit denen ich sehr gut klar komme und ich bekam sehr ausdrücklich mit, dass beide Gemeinden mit meiner Wahl sehr zufrieden waren. „Super!“ raunte mir Dame zu, während sie mit dem Ellbogen auf meine Körpermitte zielte. Und eine andere sagte: „Das hat mich glücklich gemacht.“
Ein Lied, dass bei meiner Erstkommunion sicher gesungen wurde, hat sich mein Papa für heute gewünscht. Ihm bedeutet es sehr viel, auch, weil es ihn an seine Erstkommunion erinnert. Die von noch mehr westfälischen Traditionen geprägt wurde als meine eigene.
Als Nummer 906 findet sich das dreistrophige Stück im Paderborner Anhang des alten Gotteslobs. Als mein Vater Erstkommunion feierte, war dieses Songbook aus den 70ern buchstäblich Zukunftsmusik. Man nahm das Sursum Corda als „Gebetsknarre“. Und Vollprofis wie meine Oma (väterlicherseits) nahmen als Overkill noch den Schott mit. Im Schott stand „Unserm Herzen soll die Stunde“ nie. Ist ja kein liturgischer Text. Aber im Sursum Corda stand es. Sagt die Quellenzeile im Paderborner Anhang.
Der Text – für mich furchtbar. Die Melodie – na ja, ein typischer Sursum Corda-Schlager, nicht wirklich mein Geschmack. Aber weil der Wurm nicht dem Angler schmecken muss, sondern den F…, äh, familiär gebundenen Stammlesern meines Blogs, sei’s drum. Liebe Anverwandte, hier kommt ihre Nummer 1! Licht aus. Spot an. Noch so ein Alt-70er, wa? 😉
Da kommen (schöne) Erinnerungen auf. Aber an eine Krawatte kann ich mich nicht erinnern (eher Fliege).
Ich glaube mich inzwischen auch an eine Fliege zu erinnern. Es gibt ein Beleg-Foto, das ich aber leider nicht in Reichweite habe.
Für mich war und ist Fliege und Krawatte gleichermaßen eine textile Halskrankheit. 😉
Wohl für uns alle unvergessliche Zeiten!
Ein sehr schöner Beitrag, der mir stellenweise feuchte Augen machte, ohne daß ich Zwiebeln schälte. Auch war der Inhalt
etwas weltlicher, was mir und, da bin ich sicher, auch zahlreichen Lesern verständlicher ist. Ich habe meine Geschwister informiert und ich hoffe, daß sie Lesezeit einplanen.
Schöne alte Zeit! DANKE!