Darf’s noch etwas von den Eierköpfen sein? – Ein Loblied auf hartes Brot für graue Zellen.
Er war genervt, mein Freund Sigmund (Name geändert). „Warum kann man das nur verstehen, wenn man vorher andere Bücher gelesen hat?“
Tja, wer sich an die berühmte Buber-Sammlung chassidischer Geschichten heran traut, muss mit dem einen oder anderen geistigen Hindernis rechnen. Wobei ich besagtem Freund zugute halten möchte, dass nicht er das Thema unseres digitalen Zusammentreffens ausgesucht hatte. Das war schon ich und ich bin eben ein Mann für’s Grobe. Wenn es um Lektüre geht.
Zu meinem Blog-Post vom Weißen Sonntag erhielt ich so viele persönliche und entsprechend ernst zu nehmende Kommentare wie zu keinem anderen zuvor. Drei, um genau zu sein.
Wie ich korrekt einschätzte (weswegen mich jemand des Pessimismus zieh), folgten etwa zwanzig „Kommentare“, die ich nach entsprechender Auswertung auf den virtuellen Misthaufen warf. Aber es stimmt: Wer bodenständig schreibt, erfreut ein breiteres Publikum.
Blöd, dass es mir in meinem persönlichen digitalen (Sonn-)Tagebuch nicht um Massen-Unterhaltung zu tun ist.
Wobei: Natürlich freut es mich sehr, wenn ich Mitmenschen etwas Schönes und sie Aufbauendes mitgeben kann. Die Sammlung von Texten eines meiner Lieblingsautoren ist mit „Leben heißt, sich mitteilen“ überschrieben. In Franz Werfel sah ich schon früh eine verwandte Seele. Trotz all der zahllosen Unterschiede. Zum Beispiel ähnelte keine meiner Beinahe-Partnerinnen der seinerzeit ihrem „Franzl“ innig und gleichzeitig unendlich distanziert verbundenen Alma Mahler. Die eine höchst spannende Frau gewesen sein dürfte, und eine super-starke außerdem.
Auf eine andere starke Frau kamen wir als die (einzig wahren, gell?) 30er von St. Christophorus am vergangenen Freitag zu sprechen.
Vielleicht kennt jemand von meinen Leser*innen Texte von Georg Munk? Ich bisher noch nicht, was ich als Mangel betrachte, den ich zu beheben gedenke.
Hinter dem Pseudonym Georg Munk verbirgt sich die Germanistin Paula Winkler, ursrünglich Katholikin, die für die Heirat mit ihrem langjährigen Lebenspartner zum Judentum konvertierte.
Das wäre Alma, verwitwete Mahler, Ex-Gropius, nicht in den Sinn gekommen, nicht einmal für ihren dritten Mann, Franz Werfel.
Winkler hielt es anders und nahm dann den Familiennamen ihres Mannes an: Buber.
Martin Buber, zu diesem Zeitpunkt bereits eine internationale Berühmtheit, wurde 1907 ihr amtlich angetrauter Ehemann.
Buber und Werfel – beide hatten Wiener Prägung, waren un-orthodoxe aber bekennende religiöse Juden, Schriftsteller, von den Nazis Verfolgte und Denker.
Der ältere von beiden, der 1878 geborene Martin Mordechai Buber, spielte als Philosoph definitiv einige Ligen über dem zunächst salon-literarisch tätigen Expressionisten und Verdi-Opern-Liebhaber Franz Werfel. Ihre Exil-Wege waren so grundverschieden, wie es Fluchtwege nur sein können.
An die weltweit anerkannte Koryphäe Buber trauten sich die deutschen Barbaren nicht mit Gewalt heran. Er konnte, wenn auch bösen Schikanen ausgesetzt, halbwegs geordnet nach Jerusalem übersiedeln.
Der Roman-Schriftsteller aus Wien musste mit Schlimmerem rechnen und trat eine an Strapazen reiche Flucht westwärts an: Durch Frankreich und Spanien, über den Atlantik und quer durch den nordamerikanischen Kontinent bis nach Kalifornien. In Los Angeles wird ein Großteil seines Nachlasses aufbewahrt.
Seine resolute Gattin, die starke Sympathien mindestens für die Vorkriegs-Politik der Nazis hatte, begleitete ihn die ganze Zeit und durch alle Strapazen. Auf Fotos aus dem kalifornischen Exil, wo die Werfels mit den Manns ziemlich eng befreundet waren, glaube ich zu erkennen, welche unglaubliche Energie die glühende Katholikin Alma hatte. Sie schaffte es trotzdem nicht, ihren Mann zur offiziellen Konversion zu bewegen.
Gerüchte behaupten, sie habe Werfel nach Eintritt seines Todes durch einen befreundeten Geistlichen taufen lassen. Aber Gerüchte – sind nichts wert. Eventuelle post mortem-Aktionen von kirchlichem Bodenpersonal ändern nichts an der Haltung, die Werfel zu Lebzeiten in seinem literarischen Schaffen zeigte. Und diese Haltung fasziniert mich bis heute.
Dass der handwerklich solide aber nicht herausragende Roman-Autor und teilweise gruselig schlechte Lyriker einem Geistesgiganten wie Martin Buber nicht das Wasser reichen konnte, klare Sache. Vielleicht wäre bei unserer virtuellen Impuls-Runde eine Auswahl von Werfel-Texten die bessere Wahl gewesen. Denn ja: Werfel kann jeder Mensch, der des Deutschen mächtig ist, ohne weiteres verstehen. Da braucht es keine Sekundärliteratur. Es gibt auch nur wenig davon.
Aber ich habe mich für Buber entschieden. Schlicht zu faszinierend sind die Einblicke, die dieses Multitalent mit verdientem Weltruf in mehr als nur eine Welt liefert. Mit Texten, die oft nur drei oder vier Sätze lang sind.
Eine Teilnehmerin unserer 30er-Runde fragte mich: „Warum brennst du so für diesen Autor? Denn du brennst für ihn, das merkt man.“
Ich habe mich unglaublich über diese Frage gefreut. Denn mir war nicht bewusst, mit welcher Begeisterung ich schon an den Einstiegstext, ein von Buber übersetztes chinesisches Geister-Märchen, heran ging. Im Nachhinein stellte ich fest: Die Fragende hatte recht! Meine Antwort auf ihre Frage, ebenfalls im Nachhinein: Buber war in mehreren Welten zu Hause, konnte sich in und zwischen ihnen bewegen, egal ob sie für andere (noch) existierten oder nicht. Ich bin unter diesem Gesichtspunkt ein geistiger Stubenhocker. Aber einer, der jede Gelegenheit nutzt, um vor die Tür zu kommen. Heute so aktuell wie noch nie und glücklicherweise unabhängig von angedrohten Ausgangssperren (was für ein Wahnsinn). Vor allem vollkommen ungefährlich. Wobei – eines muss ich in Kauf nehmen: Wo ich für ein Thema brenne, wird es für viele brenzlig. Schärfe auf der geistigen Zunge.
Anfang des Jahrtausends sagte mir in München ein zu Besuch gekommener Bekannter, mit dem ich prägende Osteuropa-Erfahrung und Leselust gemeinsam hatte: „Du musst dich weiter mit dieser schwierigen Literatur beschäftigen. Es gibt so wenige, die sich für die schweren alten Bücher interessieren.“
Ich musste schmunzeln, als der liebe Jochen (noch ein geänderter Name) das sagte. Ich dachte an ein Experiment, dem sich mein Gast rund acht Jahre zuvor unterziehen musste. Der leidenschaftliche Bücherfreund hatte auf dem größten Büchermarkt von Odessa schon mehrere Papierschwarten erstanden, als er sich laut und so seine Umgebung rhetorisch fragte, ob im Reisekoffer wohl noch Platz für eine bestimmte Klassiker-Gesamtausgabe sei. Ein im Raum stehender Pharmazie-Student, also ein angehender Naturwissenschaftler, schuf spontan folgende Versuchsanordnung:
„Wenn du es schaffst, mit deinen Koffern, so wie sie jetzt sind, innerhalb von fünf Minuten dreimal den Wohnheimflur hin und zurück zu laufen, reden wir darüber. Ob du vielleicht noch ein Buch kaufen darfst.“
Jochen, der zu dieser Zeit noch Gymnasiast war, schaffte den Gepäcklauf nicht. Er kaufte sich die Gesamtausgabe trotzdem. Und noch ein Tee-Service. Na, das war ein Sprint in Tschop (Чоп)! 😉
Wie ich auf ebendiesem Bahnhof später selbst übermenschliche Kräfte entwickelte, erzähle ich ein andermal. Vorher lese ich aber mindestens einen Buber. Schwere Kost? Vielleicht. Aber Muckibuden-Gäste, zu denen ich nie gehörte und nicht gehören werde, wissen: Aus jeder Herausforderung wächst neue Kraft. In diesem Sinne: Lest, ihr Jammerlappen! Uggah!